Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
21 - Im Reiche des silbernen Löwen II

21 - Im Reiche des silbernen Löwen II

Titel: 21 - Im Reiche des silbernen Löwen II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
war nicht der Euphrat, den wir am Tag gesehen hatten und über den wir vor kurzem geschwommen waren, sondern ein geheimnisvolles, lebendes, schlangengleiches Wesen, welches, aus dem Paradies vertrieben, seinen unartikulierten, endlosen Leib in stummer Pein hier vorüberwand, ein nie versiegender Hinweis auf die unerbittliche Gerechtigkeit dessen, der sich nicht spotten läßt. Hier an diesem Fluß hatte sich einst das Gericht vollzogen, von welchem der Psalmist sagt: „An den Flüssen Babylons, dort saßen wir und weinten, wenn wir Sions gedachten. An den Weiden, die drinnen sind, hingen wir unsere Harfen auf; denn die uns gefangen wegführten, und die uns wegnahmen, forderten da von uns Lieder. Wie aber sollten wir singen den Gesang des Herrn im fremden Land!“ Vielleicht hatten da, wo ich jetzt lag, auch solche Klagende gesessen und sehnsüchtig hinabgeschaut in die Fluten, die von den Höhen kamen, über welche der Weg nach Palästina führte. Und wenn sie hier in der Einsamkeit mit ihren Klagen geendet hatten, so stiegen sie in die Binsenfähre, um hinüberzusetzen an das linke Ufer, an welchem ihre niedrigen Ziegel- oder Erdhütten lagen.
    Das war noch ganz derselbe damalige Fluß, und rechts von mir, unten im Wasser, lag eine Binsenfähre von genau derselben Form, welche diese Fahrzeuge zu jener Zeit schon hatten, rund und niedrig ausgebaucht, wie eine große, leicht schwimmende Wasserschüssel.
    Diese Fähre war halb von dem dichten Tamariskengestrüpp verdeckt, welches sich in fast undurchdringlicher Üppigkeit längs des Ufers hinzog. Es war nur eine einzige, vom Gebüsch befreite, freie Stelle zu sehen; dort brannte das Feuer, an welchem ich nur einen einzigen Mann bemerkte. Ein zweiter saß ganz am Wasser, demselben zugewendet und regungslos; er angelte.
    Das gab ein so friedliches Bild; wo war da die Spur von einer Gefahr für mich zu sehen! Befand ich mich an dem gesuchten Versteck, von dem man glaubte, daß die Geister der Erschlagenen des Nachts da ihr Wesen trieben? Oder waren diese beiden Männer nur harmlose Fischer, welche jetzt in der Dunkelheit und Kühle einen Fang machen wollten, um ihn dann am Morgen unten in Hilleh zu verkaufen? Es widerstrebte mir, sie für so unschädlich zu halten, wie sie aussahen. In einem solchen, sich gern um seine eigene Achse drehenden Binsenfahrzeuge zwei volle Wegstunden weit stromaufwärts rudern, ist keine Arbeit, die man eines beabsichtigten Fischfangs wegen unternimmt, von dem man nicht einmal sagen kann, ob er ein Ergebnis haben wird. Zudem war es grad diese Friedlichkeit der Situation, welche mich in meinem Argwohn bestärkte; sie kam mir so gemacht, so künstlich vor. Ich sagte mir, daß – wie man sich auszudrücken pflegt – etwas dahinterstecke, und hätte diese beiden Männer ihre Rolle ruhig und ungestört weiterspielen lassen, wenn ich aus irgendeinem andern Grund und nicht Halefs wegen hergekommen wäre. Ich mußte wissen, warum er nicht zurückgekommen war, und konnte das nur hier erfahren. Wer weiß, was man ihm angetan, mit ihm begonnen hatte! Es konnte jede Minute kostbar sein, und so durfte ich nicht hier liegen bleiben und untätig abwarten, ob ein Fisch anbeißen werde oder nicht. Ich mußte etwas tun, aber was?
    Ich glaubte, zunächst erfahren zu müssen, ob diese zwei Personen sich wirklich so allein, wie es den Anschein haben sollte, hier befanden, und beschloß also, längs des hohen Uferrandes hinzukriechen, um zu entdecken, ob nicht jemand unten in dem Buschwerk stecke. Ich schob wohl demnach sehr langsam und vorsichtig in der erwähnten Richtung an der Erde hin.
    Es verging wohl über eine Viertelstunde, bis ich die hier oben vollständig kahle Strecke so weit, wie unten das Gebüsch reichte, abgekrochen hatte. Da lag ich nun wieder und überlegte. Ich hatte trotz meiner scharfen Augen und Ohren nichts gesehen und nichts gehört. Wenn sich jemand hier versteckt hatte und gegen mich im Hinterhalt lag, so konnte das nur unten im Gestrüpp sein; ich mußte also hinunter; aber das war ebenso schwer wie gefährlich – schwer, weil der obere Teil der Böschung aus tiefem, lockerem Sand bestand, mit dem ich wahrscheinlich hinunterrutschte, weil er mich nicht tragen konnte, und gefährlich, weil ich von jedem, der da unten steckte, gesehen werden mußte, wenn ich von oben abwärts kam. Es gab freilich noch eine andere Art und Weise, meinen Zweck zu erreichen, wenn ich nämlich meinen Weg noch weiter fortsetzte, dann das Wasser aufsuchte

Weitere Kostenlose Bücher