21 - Stille Wasser
1
Um sie herum war nichts als Wasser, bläulich grün, trübe und kalt. Zuerst wirkte alles wie in einem Film, wie in einer dieser TV-Dokus mit Unterwasseraufnahmen und Tauchern, deren Luftblasen in dekorativen Mustern an der Kameralinse vorüber nach oben schwebten. Doch als sie einzuatmen versuchte, durchflutete Wasser ihre Lungen, schien ihr Gehirn zum Platzen zu bringen, und kalte Klauen mit Schwimmhäuten packten sie und zogen sie in die Tiefe, fort von der rettenden Atemluft, hinab in den Tod...
Verzweifelt nach Luft schnappend wachte Buffy Summers auf und fand sich barfuß auf dem kühlen Fußboden stehend vor ihrem Bett wieder. Ihr Nachthemd war nass von kaltem Schweiß und das Haar hing ihr in wirren Strähnen ins Gesicht, als wäre sie direkt nach dem Duschen ins Bett gestiegen, ohne es zuvor durchzukämmen. Einen Moment lang pumpte sie keuchend Sauerstoff in ihre Lungen, ihr Brustkorb hob und senkte sich in rascher Folge. Dankbar atmete sie die trockene und klare Winterluft ein.
»Okay«, sagte sie zu sich selbst, »das war ausgesprochen unerfreulich.«
Trotz aller Privilegien, die sie als Auserwählte genoss, die zwischen der Menschheit und der von Dämonen und anderen knurrenden Nachtschwärmern bevölkerten Unterwelt stand, gab es Augenblicke, in denen sich die Jägerin fühlte, als hätte jemand alle Kraft und Zuversicht regelrecht aus ihr herausgesaugt – obwohl sie mit dergleichen Formulierungen – hier, in dieser Vampir-Zentrale namens Sunnydale – nicht so leichtfertig umzugehen pflegte. Dreimal war sie nun binnen eines Monats von dem gleichen Alptraum verfolgt worden. Immer hatte es etwas mit eiskaltem Wasser zu tun gehabt und jedes Mal war sie ertrunken...
Gestern hatte sie sich endlich dazu durchgerungen, Giles um Rat zu fragen...
»Erzählen Sie mir nicht, ich würde überreagieren!« Buffy stand hinter Giles und schaute ihm über die Schulter, während er in seinen Büchern nach Antworten suchte. Der gute alte Giles, ihr allzeit in Tweed gekleideter, doch stets zuverlässiger Wächter – der im Augenblick allerdings keine sonderlich große Hilfe war.
»Vielleicht ist ›überreagieren‹ nicht das richtige Wort«, räumte er ein. Giles wandte sich zu ihr um und schob seine Brille hoch. »Ich möchte allerdings darauf hinweisen, dass es derzeit, wie mir scheint, nicht den geringsten konkreten Anlass zur Sorge gibt.« Während er das letzte der durchgesehenen Bücher demonstrativ zuklappte, setzte er apodiktisch hinzu: »Es gibt einige Parameter, die zur Bestimmung von Vorahnungen oder... äh... präkognitiven Wahrnehmungen in Träumen eine gewisse Relevanz besitzen. Vielleicht solltest du dich ein wenig damit beschäftigen, zu deiner eigenen Beruhigung.«
»Ja, genau. In meiner ohnehin viel zu großzügig bemessenen Freizeit.« Sie kaute nervös auf einem Fingernagel herum, bis sie merkte, was sie tat, und schnell die Hand sinken ließ. »Könnte es sich nicht um eine Prophezeiung oder etwas in dieser Art handeln? Irgendetwas, das mir den Schlaf raubt, bevor Sie überhaupt etwas davon ahnen?«
»Das war so ziemlich das Erste, was ich überprüft habe«, gab Giles zurück. »Und obwohl wir einem durchaus unruhigen Frühjahr entgegenblicken, gibt es keinerlei Prophezeiungen hinsichtlich bevorstehender Ereignisse, die mit Wasser zu tun haben oder mit Bedrohungen, die in irgendeinem Zusammenhang mit Wasser stehen.«
»Und das soll alles sein? Ein kurzer Blick in ein schlaues Buch und ein lapidares ›Kein Grund zur Beunruhigung‹?«
»Buffy, selbst einer Jägerin können mitunter solch alltägliche Dinge wie Alpträume widerfahren.« Er erhob sich von seinem Stuhl und schien damit das Gespräch als beendet zu betrachten.
Buffy starrte ihn wütend an. Sie ärgerte sich über die enervierende Mischung aus Wohlwollen und Überheblichkeit, die bisweilen in seiner Stimme schwang.
»Vielleicht«, fuhr er fort, angesichts ihrer vorwurfsvollen Blicke ein wenig nachgiebiger geworden, »sind diese Träume auf die Reihe unangenehmer Erfahrungen zurückzuführen, die du mit Wasser gemacht hast.«
»Oh Mann, wie viele Hochschulabschlüsse haben Sie eigentlich ablegen müssen, um diesen Erkenntnisgrad zu erreichen?« Der scharfe Ton ihrer eigenen Worte ließ Buffy zusammenzucken. »Nein, vergessen Sie’s. Tut mir Leid. War nicht fair.«
Giles war ihr Wächter – ihr Coach, ihr Mentor, ihr Partner –, und er kannte sie höchstwahrscheinlich besser als jeder andere Mensch. Dennoch konnte er
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