21 - Stille Wasser
Patrouille gegangen und mit der Meldung zurückgekehrt, dass überall eine ungewöhnliche Ruhe herrschte. Es schien so, als wären die Vampire nach wie vor damit beschäftigt, sich ihre Wunden zu lecken.
Er hoffte, dass dies noch eine ganze Weile so bleiben würde.
Das Geräusch der aufschwingenden Bibliothekstür drang zu ihm herüber und er hörte das Klappern von Absätzen – ah ja, Cordelia Chase.
»Also«, begann sie und machte eine Pause.
Giles wartete. Cordelia würde ihm schon früh genug die Meinung sagen. Sie hatte diesbezüglich noch nie längere Anlaufzeiten benötigt.
»Ist Ariel gut nach Hause gekommen?«, fragte sie schließlich. »Ich meine, sie ist nicht zufällig in der letzten Nacht wieder vor Ihrer Haustür aufgetaucht oder so?«
Giles schüttelte den Kopf, einigermaßen verwundert darüber, dass sich Cordelia aufrichtig um das Selkie zu sorgen schien.
»Nein. Willow bekam heute früh einen Anruf von Dr. Lee. Er hat die ganze Küste beobachten lassen, und das Rudel, das sich in unseren Gewässern aufgehalten hat, ist gestern wieder in Richtung hoher See aufgebrochen. Ich nehme an, dass Ariel dabei war.«
»Sehr schön. Und was machen wir mit Dr. Lee?«
Der Wächter lächelte leicht säuerlich. »Offensichtlich reichen Dinge mit großen Zähnen aus, um ihn von seinem eigentlichen Problem abzulenken. Er könnte uns dabei helfen, etwas mehr über die Gefahren herauszubekommen, die vor unserer Küste lauern.«
»Oh.« Cordelia lehnte sich gegen den Büchertresen und spielte nervös an den Riemen ihres Handtäschchens herum. »Also ist er über diese ganze Selkie-Geschichte hinweg, oder?«
»Eigentlich nicht. Er ist immer noch ziemlich überzeugt davon, dass Ariel uns, als die Not am größten war, einfach im Stich gelassen hat. Selbst Buffys Eingeständnis, dass ein Selkie sie gerettet hat, scheint an seiner grundsätzlichen Haltung nichts zu ändern. Für ihn sind Selkies immer noch seelenlose Kreaturen, die eine Gefahr für die ganze Menschheit bedeuten.«
»Oh«, sagte sie noch einmal.
Giles glaubte zu wissen, was sie dachte. »Über diese Art von Verrat kommt man nicht über Nacht hinweg«, sagte er wie beiläufig, während er ein paar Bücher auf dem Rollcontainer ablegte und ein anderes in die Hand nahm, sorgsam darauf bedacht, Cordelia nicht in die Augen zu schauen. »Eine jäh enttäuschte Liebe ruft meist andere, ähnlich starke Gefühle hervor, um die Lücke zu füllen.«
»Wie Hass.«
»Wie Hass«, stimmte Giles ihr zu. »Oder Angst.«
»Geht es jemals vorbei?«
Jetzt sah er sie an, mit traurigen Augen, doch seine Mundwinkel umspielte ein hoffnungsvolles Lächeln. »Es wird erträglicher. Und nach einer gewissen Zeit, wenn man merkt, dass die Welt sich weiterdreht, tritt an seine Stelle... Bedauern. Und schließlich, vielleicht, die Erinnerung an die guten Zeiten, während die schlechten dem Vergessen anheim fallen.«
„Oh. Also... kann es sein, dass sich Dr. Lee eines Tages nur noch an die schönen Jahre mit seiner Frau erinnert?«
»Eines Tages«, sagte Giles. »Wenn er dafür bereit ist.«
Die Schulglocke läutete und rief zur nächsten Stunde. Cordelia griff nach ihren Büchern. »Ich, äh, muss los.« Sie blieb in der Tür noch einmal kurz stehen. »Danke«, sagte sie rasch über die Schulter hinweg.
Um ein Haar wäre sie mit Buffy zusammengekracht. »Hey.«
»Hey«, erwiderte Buffy verblüfft ihren Gruß und beeilte sich, in die Bibliothek hineinzukommen. »Was haben Sie ihr gesagt, Giles? Sie hat mich angelächelt. Ich meine, richtig angelächelt, gar nicht wie Cordelia.«
»Und du?«
»Na ja, ich hab halt auch gelächelt.«
Gleiches tat Giles. »Gut.«
Buffy wartete einen Moment, doch er schien dazu nichts weiter sagen zu wollen.
»Richtig. Zurück zur Tagesordnung. Sie sagten, Sie hätten da so ein Buch, in dem einiges über Träume und so’n Zeugs steht?«
Giles wies wortlos auf einen kleinen Stoß Bücher, der auf dem Tisch lag.
»Ich hätte bereits viel früher darauf dringen sollen, dass du dir einige Kenntnisse über Traumdeutung aneignest, vor dieser ganzen Geschichte. Hättest du bei der Interpretation deiner Traumbilder ein wenig mehr Background gehabt, wären wir vielleicht in der Lage gewesen –“ er unterbrach sich, als er den merkwürdigen Ausdruck in ihrem Gesicht bemerkte. »Ist da noch irgendwas?«
Buffy nickte und schlenderte zu dem Tisch mit den Büchern hinüber, nahm sich von dem Stapel das oberste herunter und ließ die Seiten
Weitere Kostenlose Bücher