2164 - Kinder der Sterne
und sie wieder einzog. Der Junge bekam eine Gänsehaut, als er den feinen kühlen Luftzug, das leise Sirren dieser schnellen, tödlichen Waffen so knapp an sich vorüberziehen spürte. Zweifelsohne hätten die Krallen sein Gesicht in Scheiben geschnitten, wenn Dao den Abstand nicht genau bemessen hätte. Und es wäre so schnell geschehen, dass er nicht den leisesten Hauch einer Chance gehabt hätte. „Das ist der falsche Weg", sagte Dao leise. „Gewalt ist immer nur ein Mittel, niemals aber eine Lösung, und ihr Einsatz sollte wohl bedacht sein. Irgendwann werdet ihr beide euch ernsthaft verletzen, und das ganz ohne Grund."
„Aber ..."
„Still! Keine Ausreden. Du musst eine andere Möglichkeit finden, Gizzo zur Vernunft zu bringen. Noch dazu, wenn du körperlich schwächer bist als er." In Arlos tiefblauen Augen blitzte Hoffnung auf. „Nicht, wenn ich Unterricht bekomme!", sagte er eifrig. „Du könntest mir beibringen zu kämpfen! Oder noch besser, ich könnte Atlan bitten, mir die Dagor-Technik beizubringen!" Er schien drauf und dran, sofort zu dem Arkoniden zu laufen. Dao-Lin legte eine Hand auf seine Schulter und entblößte ihre nadelspitzen Zähne in einem Lächeln. „Für Dagor bist du zu jung, Arlo Kellind, denn diese Technik erfordert ein erhebliches Maß an Verantwortungsbewusstsein und Disziplin. Und ich werde dir gewiss nicht beibringen, wie man angreift, nur damit Darla Markus gebrochene Nasen und aufgeplatzte Lippen behandeln muss."
Ihre Hand verstärkte den Druck, bis er Arlo fast zu unangenehm wurde. Er ahnte, dass in dem schlanken, fast zierlich wirkenden Körper der Kartanin enorme Kräfte steckten. Die sie noch nie offen zur Schau getragen hatte, auch im Sportunterricht nicht. „Aber es gibt andere Möglichkeiten", sagte sie leise. „Wie wäre es beispielsweise, wenn du deinen Kopf einsetzen würdest? Und zur Verteidigung genügt es, wenn du schnell bist. Folge mir!" .
Der Druck wich von seiner Schulter, und im selben Moment war Arlo allein. Verdutzt drehte er sich nach allen Seiten. „Hallo! Wohin soll ich dir denn folgen?", rief er. Er sah kein zitterndes Blatt, ebenso wenig war irgendein Geräusch, ein Rascheln oder Schritte zu hören.
Ein schnurrendes Lachen von der linken Seite, und Dao Lins geschmeidiger, eleganter Körper wurde wieder sichtbar -lautlos von rechts. Sie tippte dem Kind, das sie von der anderen Seite erwartet und deswegen die Aufmerksamkeit dorthin gerichtet hatte, auf die Schulter. „Das war toll!", meinte Arlo bewundernd, nachdem er sich vom zweiten Schrecken an diesem Nachmittag erholt hatte. „Du bist ja schneller als Zitonie. Kannst du mir das beibringen?"
„Und noch ein paar Dinge mehr", antwortete die Kartanin, „wenn du bereit bist, jeden Tag eine Stunde daran zu arbeiten. Das muss regelmäßig trainiert werden. Nur so hat es einen Sinn." Arlo Kellind nickte begeistert. Ausgerechnet von einer Unsterblichen unterrichtet zu werden erfüllte ihn mit Stolz und Freude, und er nahm sich fest vor, nicht Dao Lins Unmut zu erregen.
Schließlich hätte er dann den anderen eine Menge voraus, ohne dass sie es je ahnten! Denn er würde gewiss nicht hinausposaunen, was er Besonderes erlebte. Dao hatte Gründe, ihre Kräfte zu verbergen, und Arlo wollte es ihr gleichtun. Er konnte von ihr so viel lernen, und bestimmt erzählte Dao ihm viele Geschichten aus ihrem Leben... „Aber jetzt zurück an deine Strafarbeit, und du wirst selbstverständlich die verlorene Zeit nachholen!", holte die Stimme der Kartanin den Jungen aus den Träumereien zurück. „Wir treffen uns morgen um vierzehn Uhr."
Arlo Kellind nahm sich fest vor, die Strafe abzuarbeiten, wenngleich er sich immer noch ungerecht behandelt fühlte. Aber das interessierte die Erwachsenen in diesem Fall nicht, und das war wohl seine Lektion: Es ging nicht immer gerecht zu, weil nicht jeder dieselbe Auffassung davon hatte.
Die Aussicht auf das künftige Training mit Dao-Lin-H'ay versöhnte ihn allerdings. Er kehrte um und trabte los. Da kam Dao-Lin erneut in sein Blickfeld: Die Kartanin traf sich mit Atlan, und die beiden unterhielten sich leise. Dabei sahen sie sich einige Male um, als ob sie nach unerwünschten Augen und Ohren Ausschau hielten. Dann entfernten sie sich rasch. Erst nach einigen Metern merkte Arlo, dass er die Richtung geändert hatte und nun den beiden folgte, anstatt zu Zitonies Feld zurückzukehren. Aber er fand das Benehmen der beiden Unsterblichen seltsam und glaubte, dass es um etwas
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