22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
sahen wir Strengen einander an, lachen und sagten: ‚Das sind Leute, die wir brauchen können! Ihre Lehre ist uns ungefährlich. Nach ihren Worten zwar hat Isa Ben Marryam die Welt erlöst; nach ihren Taten aber kann er kein Erlöser sein, da er nun schon seit zweitausend Jahren als Heiland bei und in ihnen lebt, ohne ihren gegenseitigen Haß in Liebe verwandeln zu können!‘ So sagten wir und ließen sie uns ruhig dienen, wie uns noch niemand gedient hatte. Unsere Herrschaft war von ihnen nicht erschüttert, sondern nur befestigt worden. Ja, wir konnten nur wünschen, daß diese Religion des in der Liebe versteckten Hasses ewig dauern möge, denn da war in alle Unendlichkeit hinein der Schah-in-Schah nur dem Namen nach ein Herrscher, die Macht aber hatten wir!“
Als Ahriman Mirza so weit gekommen war, hielt er inne. Er schaute zu dem Ustad hinüber, in dessen Gesicht sich eine auffällige Veränderung vollzogen hatte. Der Herr des ‚Hohen Hauses‘ hatte seinen Blick aus der Ferne zurückkehren lassen. Seine Hände lagen jetzt gefaltet ineinander.
Betete er?
Wenn er es tat, so konnte es nur ein Gebet des Dankes sein, welches er still und unhörbar zum Himmel sandte, denn seine ehrwürdigen und doch so jugendlichen Züge wurden von dem Ausdruck einer Freude verklärt, die sich auf keinen irdischen Gegenstand beziehen konnte. War ihm dort, wohin er geschaut hatte, ein Blick in jene Welt geöffnet worden, in welcher tausend Jahre sind wie eine kurze Erdenstunde?
War ihm dort die Erkenntnis aufgegangen, daß in den beiden schnell verflogenen Erdenstunden, welche seit Christi Kreuzestod verflossen sind, doch auch noch anderes geschehen ist, als Ahriman Mirza zu erwähnen für gut befand? Fast schien es so, denn indem er jetzt seine Hände trennte, hob er erst den einen und dann den anderen Arm empor, breitete beide aus, als ob er das ganze Tal seiner geliebten, treuen Dschamikun mit allem, was darüber draußen lag, umfassen wolle, um es segnend an das Herz zu drücken, und sprach:
„Und doch und doch wird einst die Zeit erscheinen, in der alle irdische Kreatur erkennen muß, daß Isa Ben Marryam im Geist und in der Wahrheit ihr Erlöser ist! Er ging voran. Wir haben ihm zu folgen. Ihm war die Nächstenliebe gleich der Gottesliebe. Wer auch nur einen einzigen Stein aufhebt, um seinen Bruder mit ihm zu treffen, der steinigt seine eigene Seligkeit und wird gerichtet werden! Ben Marryam nahm den reuigen Verbrecher vom Pfahl des Kreuzes weg mit sich in Chodehs Paradies. Nur wer sein Kreuz auf sich genommen hat, um, was er tat, zu büßen, wird, wenn er stirbt, des Heilandes Worte hören: ‚Wahrlich, ich sage dir, du wirst noch heute mit mir in meinem Himmel sein!‘ Ben Marryam war so göttlich groß, daß er sogar die Teufel liebte. Er fuhr zu ihnen nieder in die Hölle, um sie zum Tor jener Zeit zurückzuführen, in der sie Chodehs gute Engel waren – – –“
Bis hierher hatte Ahriman Mirza den Ustad mit seinen Worten kommen lassen. Jetzt aber glühten seine Blicke zornig auf wie Funken, die aus dunkeln Kohlen sprühen. Sein diabolisch schönes Gesicht verzerrte sich zur Häßlichkeit, und kreischend, scharf und schrill klang seine Stimme:
„Aber die Teufel lachten über ihn und seine selige Zeit! Sein hoher Schah-in-Schah lebt in der Menschheit Worten, doch nicht in ihren Taten. Wer ist der wahre Herr der Erdenwelt? Der, den ihr Satan nennt! Das Himmelreich des einen wird ihr nur immerfort verheißen; das Reich des anderen aber ist schon da! Der eine thront in ewiger Himmelsliebe, die aber hier auf Erden unaufhörlich haßt. Mit ihrer Ewigkeit ist es also schon längst vorbei. Der andre thront in diesem ihrem Haß, der wahrhaft ewig ist, weil er ja niemals liebt. Sein Reich wird folglich nie zu Ende gehen! Nun öffne, Ustad, deinen weisen Mund, und sag mir: Wer vertauscht die mächtige Wirklichkeit mit einem leeren Schein, der nichts vermag, als Tore zu betrügen? Man sagt von deinem Isa Ben Marryam, es sei der Teufel einst zu ihm getreten und habe ihn versucht. Was für ein Teufel ist das wohl gewesen? Der Hölle ist er sicher unbekannt. Wenn sie den Heiland aller Welt versucht, versucht sie ihn nicht so, wie jeden kleinen Menschen. Sie läßt sein Evangelium sich zeigen und blättert nach, was es enthalten mag. Wenn sie sodann auf jeder, jeder Seite das gleißnerische Wort der Liebe liest, von der sie weiß, daß sie kein einziges Menschenkind, viel weniger die ganze Welt erfüllen kann, wen wird
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