22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
hervorgegangen sein. Zwischen beiden mußte es irgend eine innige Beziehung geben, die ich aber nicht kannte. Und zwischen meinem Freunde Dschafar und diesem Ahriman Mirza mußte irgend ein Verhältnis liegen, von dem ich jetzt, in diesem Augenblick, zu ahnen wagte, daß es für mich von der schwerwiegendsten Bedeutung sei.
Es verstand sich ganz von selbst, daß der Perser nicht erfahren durfte, weshalb ich nach dem Messer gegriffen hatte. Mochte er mich immerhin für einen unerfahrenen Menschen halten! Es gewährt ja stets nur Vorteil, vom Feind unterschätzt zu werden.
Als das Messer wieder an seinem Platz war, erklang die Stimme des Persers höhnisch:
„Ein Glück für dich, daß du mir gehorchst! Wahrscheinlich wirst du dich noch oft so voller Angst, wie jetzt, zu fügen haben!“
Ich gestehe, daß es mich bedeutende Selbstüberwindung kostete, ihm nicht in das vom Spott so schnell verunschönte Gesicht zu lachen. Aber um der anwesenden Dschamikun willen war ich gezwungen, doch wenigstens eine Antwort zu geben, und so sagte ich in ruhigem Ton:
„Ich habe nicht dir, sondern dem Gebrauch gehorcht. Ist dieser Chandschar dein Eigentum?“
„Wem sollte er sonst gehören!“
„Und kennst du ihn?“
„Frag nicht so töricht!“
„Ist der ein Tor, der an Märchen glaubt?“
„Wird vielleicht in ‚Tausend und eine Nacht‘ von diesem Chandschar erzählt?“ lachte er übermütig auf.
„Nein. Aber in ‚Tausend und ein Tag‘ ist von einem ähnlichen die Rede, der niemals tötet, obgleich jeder Stich durch Leib und Seele geht. Der deinige ist es nicht. Das habe ich gesehen.“
„Das glaube ich wohl! Er ist kein Märchendolch. Sieh zu, daß du seine Schärfe nicht vielleicht einmal kennen lernst!“
Ich kehrte an meinen Platz zurück. Der ganze Vorgang war den Dschamikun ein Rätsel. Hanneh sah mich fragend an. Sie kannte mich und ahnte also, daß ich nicht ohne guten Grund gehandelt hatte. Der Ustad lehnte am Stamm des Baums und sah nicht her. Er kannte meinen Chandschar. Hatte er den des Persers gesehen? Wenn ja, so aber wohl nicht deutlich. Aber er mußte sich doch einen Grund denken, daß ich nach dem Dolch gegriffen hatte! Sein Gesicht war still. Er verriet kein Wort von dem, was er sich dachte.
Nun, nachdem diese kleine, unerwartete Szene vorüber war, begann Ahriman Mirza zu sprechen. Er sah uns dabei nicht an. Auch er schaute hinaus in das Weite. Gibt es jenseits des Horizonts Punkte, an denen Gedanken zusammentreffen können oder gar zusammentreffen müssen? In welcher Ferne lag da wohl die Stelle, an der sich beides zu vereinen hatte: Das, was der Ustad dachte, und das, was der Mirza sprach? Das letztere klang, als ob er es sich selbst schon tausendmal vorgesprochen habe und auch noch tausendmal vorsprechen werde. Er konnte es auswendig, wie die Engel ihr Halleluja singen und die Teufel ihr Dschehennah brüllen. Er sagte:
„Unser Reich lag in Frieden. Der Schah-in-Schah herrschte, und wir taten, was uns beliebte. Der Schah war streng, und wir waren noch strenger als er. Wir standen uns gut dabei. Das Volk gehorchte uns mehr als ihm, denn es sah uns, ihn aber nicht. Es wohnten nur wenige in der Nähe seines Throns. Wir setzten seine Diener in ihre Ämter und geboten ihnen, wie sie ihm zu dienen hätten. Sie ehrten ihn in Worten, uns in Werken. Dabei dachte das Volk, daß es glücklich sei. Da kamen fremde Menschen, mit ihrer längst vergessenen, vergrabenen Lehre von der Liebe. Sie erzählten von Isa Ben Marryam, der zwar gestorben, doch wieder auferstanden sei. Sie sprachen nichts als nur von Frieden und Versöhnung, von Gnade und Barmherzigkeit. Sie zogen predigend durch das Land und kamen auch zu uns, um uns, wie sie sagten, zu bekehren. Schon glaubten wir, daß sie Propheten seien, die uns durch die Macht ihrer Liebe zwingen würden, den Platz zu räumen und dem Volk den Weg zum Herrscher freizugeben. Da schauten wir sie uns an. Wir verglichen ihre Worte mit ihren Werken. Wir sahen, für wen die Worte, und für wen die Werke waren. Wir wurden wieder ruhig, denn sie glichen uns. Sie hatten nichts in das Land gebracht, als nur einen anderen Namen. Sie hatten unsere Strenge in ihre Liebe umgetauft. Sie sprachen vom Frieden und bekämpften einander selbst. Sie lehrten die Versöhnlichkeit und entzweiten sich untereinander doch immer mehr. Sie predigten von der Gnade, verziehen einander aber nie. Sie verkündeten Barmherzigkeit und versagten einander des allerärmsten Bettlers Brot. Da
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