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22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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stand aufrecht vor ihm. Ich hatte von einem Bild reden wollen, und wovon sprach ich aber nun? Konnte ich dafür? Warum waren die schönen, mildglänzenden Augen, mit denen er zu mir aufblickte, so liebreich fragend und so seelengut! Seine Dschamikun nannten ihn Peder, den Vater. Sie liebten ihn; sie ehrten ihn; sie vertrauten ihm. Er verdiente das, denn er war ihnen im wahrhaftesten Sinn des Wortes und in vollster Wirklichkeit ein Vater. Wie kam es doch, daß ich jetzt an den meinigen denken mußte! Er war ein einfacher Bürgersmann gewesen, schlicht und recht, wie arme Leute sind, vor deren Tür die Dürftigkeit am Tag wacht und auch des Nachts nicht schläft. Er hatte jenes Forschen und Suchen nicht begreifen können. Die materielle Not ist blind gegen Ideale. Er litt unter meinen äußeren Niederlagen; an den inneren Siegen aber, zu denen sie mich führten, konnte er nicht teilnehmen; sie brachten ihm keinen Gewinn. Und als ich endlich, endlich oben war, aus voller Brust tief Atem holend, weil ich in meinem Glauben an die Menschheit die Überzeugung in mir trug, daß mir vergeben sei, da legte er sich hin und starb, mich zwingend, meine schönen Hoffnungen, alles, alles an ihm gut machen zu können, nach jenem Land zu richten, in welchem ein jeder nachzusühnen hat, was hier auf Erden zu sühnen vergessen worden ist!
    War es der Peder, der vor mir saß und mich so still und doch so erwartungsvoll anschaute? Diese Stirn! Dieser fragende Blick! Auch mein Vater war so, wie er, trotz seines hohen Alters immer jung gewesen! Was wollte dieses Auge? Dieser Blick? Was kann ein Vater wollen, wenn der vor ihm sitzende Sohn von seinen Fehlern spricht. Verzeihen doch, verzeihen! Sang man da unten im Tempel jetzt wieder das ‚Rosenlied‘? Nein. Es klang mir nur im Innern, und es bedurfte nur einer geringen Äußerung, so war auch ich gemeint:
    „Brich auf, mein Herz, der Rose gleich,
In der sich alle Düfte regen.
    Gott ist an Gnade überreich;
Brich auf, und dufte ihm entgegen!“
    „Effendi, was tust du hier?“ fragte der Scheik. „Höre ich recht? Stand das in deinem Bilderbuche? Du beichtest ja dich selbst hinein! Oder nicht?“
    „Ja, Peder, ich beichte!“ gestand ich ihm. „Das Bilderbuch, von dem ich spreche, enthält die Beichte aller, aller Welt. Wenn ich von dieser Menschheitsbeichte spreche, so darf auch die nicht fehlen, die ich der Menschheit schuldig bin! Sie nehme diese Beichte mit in die ihrige auf! Dann kann ihr nicht vergeben werden, wenn sie nicht mir vergibt!“
    Da faßte er mit seinen beiden Händen die meinigen, zog mich halb zu sich nieder und sprach:
    „Aber du beichtest hier im fernen Kurdistan! Vor mir allein! Die Menschheit hört dich nicht!“
    „Sie wird mich hören! Denn sie wird es lesen!“
    „Etwa in einem deiner Bücher?“
    „Ja!“
    „Und genau so ehrlich und so offen, wie du hier zu mir gesprochen hast?“
    „Genau so!“
    „Ef – – – fen – – – di – – –!“
    Er sah mich staunend, fast erschrocken an. Mir aber war so warm, so leicht, so frei ums Herz. Ich fühlte, daß ein frohes Lächeln um meine Lippen spielte.
    „Weißt du, was du dir da vorgenommen hast? Diese deine Menschheit wird dir gern verzeihen; aber alle, alle, die ihr Ganzes bilden, werden einzeln vortreten, um dich zu verdammen!“
    „Ich fürchte mich weder vor der Menschheit noch vor dem einzelnen! Was hier geschieht, geschieht auch dort! Ich beichte auch für dort! Vor dem, der jenseits richtet! Läßt er dann, so wie man hier mit mir getan, die einzelnen vor seine Stufen treten, so bin ich frei von Schuld!“
    Da zog er mich vollends zu sich nieder, schlang seine Arme um meinen Hals, küßte mich auf beide Wangen und sprach:
    „Mein lieber, lieber Sohn! Glaubst du, daß ich mit meinen Dschamikun auch mit zur Menschheit gehöre? Ja? Du nickst! Du bist ergriffen! Ich sehe Tränen! Weine nicht! Ich sage dir: ‚Unter denen, die aus der Menschheit treten, weil sie nicht menschlich denken und verzeihen, wird sich kein einziger Dschamikun befinden! Für die anderen aber, die es tun, sei das, was du schreibst, wie nicht geschrieben, denn du beichtest der Menschheit, aber nicht denen, die aus ihr getreten sind!‘“
    Da stand der Ustad vor den Säulen des Tempels und gab ein Zeichen nach dem ‚hohen Haus‘ hinüber. Man hatte auf dieses Zeichen gewartet, denn die Sonne war im Untergehen, und sogleich erklangen die Glocken. Der Peder erhob sich, zog mich mit sich empor, behielt mich

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