223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall
Vorausflugzeuge die Ziele für die amerikanischen oder britischen Bomberverbände markieren, neue Luftangriffe an. Die Stimmung in dem Wohnzimmer ist nicht nur deswegen gespannt. Erst vor wenigen Stunden, am Nachmittag des 3. Mai 1945, ist ein guter Bekannter des Krankenhausverwalters im Stadtpark von Melk standrechtlich erschossen worden.
In die illegale Radiostunde platzt auf einmal eine Nonne in vollem Ornat, die Schwester Pförtnerin des Melker Spitals, S. M. Orlanda Dittinger vom Orden der
Töchter des göttlichen Heilands
. Aufgeregt bittet sie Franz Güttler zum Eingang des Krankenhauses zu kommen, das am Rande der Melker Innenstadt, östlich des Stiftes liegt. Dort kauern, teilt Schwester Orlanda mit, 6 völlig erschöpfte, zum Teil verwundete Männer und Frauen, offenbar Ungarn, die um Hilfe flehen. Sie seien einem Massaker bei Persenbeug entkommen, da man sie inmitten von Erschossenen ebenfalls für tot gehalten habe.
Der Fahrer des Melker DRK-Krankenwagens hat die Gruppe knapp vor Mitternacht einfach vor der Pforte des Krankenhauses abgeladen und ist sofort davongefahren, ohne der Pförtnerin auch nur die geringste Erklärung zu geben. Der Ost-Hiwi hat sich offenbar während der Fahrt zusammengereimt, dass er wohl keinen gewöhnlichen Krankentransport chauffiert und dass mit seiner Fuhre vielleicht irgendetwas nicht stimmt. Auf jeden Fall hatte er keinerlei Lust, in irgendwelche Kalamitäten zu geraten, die gerade für einen Ostarbeiter zu dieser Zeit leicht tödlich hätten enden können. Also hat er sich nach Erfüllung seines Auftrags schleunigst davongemacht. Mochten diese älteren Juden für sich selbst sprechen, er habe jedenfalls andere Sorgen.
Franz Güttler eilt mit der Nonne sofort zur Pforte. Um die anderen, darunter den 4-jährigen Sohn seiner Tochter Inge, der im Nebenzimmer schläft, zu schützen, verschweigt der Krankenhausverwalter seine Verbindung zu Landrat Dr. Leopold Convall. Er schweigt auch darüber, dass er die Ankunft der jüdischen Überlebenden des Massakers von Persenbeug eigentlich schon den ganzen Nachmittag und Abend lang erwartet hat.
»Das ist nur zu Ihrer aller Sicherheit, Sie dürfen auf keinen Fall bemerkt werden!«, meint Franz Güttler zu Dr. Henrik Weisz und schraubt im Schein einer Taschenlampe die letzte Sicherung aus dem Sicherungskasten der so genannten Typhusbaracke. Die abseits des Krankenhauses stehende Holzbaracke ist seit Jahren nicht mehr benützt worden. Der Krankenhausverwalter hat von Anfang an daran gedacht, sie als Versteck für die avisierten Juden zu nützen.
»Wir werden die Baracke nicht verlassen, egal wie lange es noch dauert«, versichert Dr. Weisz als Sprecher der Überlebenden von Hofamt Priel.
Die beiden Männer können einander jetzt kaum sehen, aber von Anfang an hat sie so etwas wie Sympathie verbunden.
»Die sowjetischen Truppen stehen noch 10 bis 15 Kilometer von Melk entfernt und sind offenbar in schwere Kämpfe verwickelt. Es kann noch Tage dauern, bis sie hier sind«, meint Franz Güttler. Wegen der Anspannung und Anstrengung ist die Hornbrille des Verwalters beschlagen. Er nimmt sie ab und beginnt sie mit tastenden Bewegungen mit seinem Taschentuch zu putzen.
Zuvor hat der Krankenhausverwalter die Küchenschwester S. M. Vinarda Herman, eine böhmische Köchin, aus dem Bett geholt. Dr. Jost hat diverses Material wie Verbände, Medikamente und chirurgisches Wundbesteck in die Baracke gebracht. Damit kann Dr. Weisz seine kleine Gruppe nun medizinisch betreuen.
»Wir werden Ihnen und Ihren Leuten das Essen immer um Mitternacht vor die Tür der Baracke stellen. So können wir das Risiko minimieren«, meint Franz Güttler.
Wovor soll ich mich denn noch fürchten?, fragt sich Dr. Weisz.
Auf Schwester Vinarda, Schwester Orlanda, auf Dr. Jost und auf seine Tochter natürlich würde sich der Krankenhausverwalter voll und ganz verlassen können. Bei allen anderen hier im Spital ist er sich nicht so sicher. Gott sei Dank, dass alles schläft, denkt Franz Güttler und setzt die geputzte Brille wieder auf.
»Wie können wir Ihnen danken?«, fragt Dr. Weisz.
»Indem Sie überleben«, antwortet der Krankenhausverwalter und macht die Taschenlampe aus.
Es ist 4 Uhr in der Früh an diesem 4. Mai 1945, als die kräftige, dunkle Stimme des Bauern Georg Forsthofer den Stadel erfüllt, in dessen hinterstem Winkel Franz Moser und Tibor Yaakow Schwartz versteckt im Heu schlafen.
Die ganze Nacht über wurde Tibor von Alpträumen geplagt, in denen
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