223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall
sich vor allem um Reisepässe, die auf der Vorderseite mit einem riesengroßen, ziegelroten
Zs
gestempelt sind, was wohl bedeutet, dass es Juden sind. Auch einen im Oktober 1944 ausgestellten so genannten Judenschutzpass der Schweizerischen Gesandtschaft in Budapest findet er. Er hat seinem Besitzer so wenig genützt wie alles andere. Sehr zahlreich sind auch Lebensmittelmarken und Postkarten, letztere oft an Verwandte, Töchter und Söhne, die irgendwo in der Ostmark interniert sind, in Arbeitslagern und KZ-Außenstellen, und die womöglich ebenfalls nicht mehr leben. Wie zum Hohn sind auf den Postkarten oft Propagandasprüche vorgedruckt:
Der Führer kennt nur Kampf, Arbeit und Sorge. Wir wollen ihm den Teil abnehmen, den wir ihm abnehmen können
. Und ähnlicher Schwachsinn. Der Revierinspektor findet in dem Konvolut auch Arbeitskarten, hebräische Gebetbücher, diverse Bescheinigungen, Portemonnaies mit ein paar fremdländischen Geldscheinen ohne großen Wert, Brillenetuis und Gedichte oder Liedtexte in ungarischer Sprache. Berührend ist für Winkler, der im tiefsten Grund seines Herzens vielleicht sogar heimlicher Monarchist ist, auch eine uralte, mit 26. Mai 1917 datierte Belobigung des K.u.K. Militär-Stations-Commandos in Czegled, in der es unterschrieben von einem Rittmeister heißt:
Ich spreche dem R. U. Off. I. Cl. Josef Bihari für seine unter schwierigen Verhältnissen geleisteten vorzüglichen Dienste steter und aufopfernder Wahrung der Interessen des Militärärares, insbesondere der statistischen Pferdeevidenthaltung beim Pferdesammel- und Militärstationskommando, im Namen des Allerhöchsten Dienstherren die belobende Anerkennung aus
.
Am schlimmsten sind die Schulzeugnisse der toten Kinder. Auch ein deutsch-magyarisches Vokabelheft in kindlicher Schrift findet er in dem vom Volkssturm sichergestellten Papierhaufen.
Als er am späten Nachmittag endlich fertig wird, endlich den letzten Namen von einem Dokument abliest und an den Schluss seiner Liste setzt, ist er entsetzt über die vielen Namen, die er getippt hat. Es müssen an die 200 sein oder noch darüber. Er wagt nicht zu zählen.
Geradezu gentlemanlike eskortiert Korporal Landler, der wie immer eifrig bemüht ist, Johanna Baierböck am Nachmittag des 5. Mai 1945 ins Dienstzimmer des stellvertretenden Postenkommandanten von Persenbeug. Man sieht ihr an, dass es ihre allererste Vorsprache auf einem Gendarmerieposten ist und dass ihr das in der Nacht vom 2. auf den 3. Mai Geschehene nahe geht. Die 47-jährige Haushälterin und Mutter dreier Kinder wirkt aufgeregt, sogar etwas derangiert und beginnt sofort, kaum, dass der Landler zur Tür hinausgegangen ist, zu erzählen, ja geradezu loszusprudeln.
Eine Viertelstunde später, während die Baierböckin noch immer redet und redet, tippt Revierinspektor Winkler bereits ihre Angaben zur Sache beziehungsweise seine Zusammenfassung ihrer Angaben in die Maschine, wobei er oberhalb davon Platz lässt für das Nationale:
Am 2. 5. 1945 gegen 22 Uhr ging ich schlafen. Nach meinem Dafürhalten dürfte es gegen 24 Uhr gewesen sein, als jemand an mein Fenster und auch an meine Türe klopfte. Ich ging zum Fenster, öffnete dieses und fragte, was es gebe. Ein Soldat, den ich nicht näher beschreiben kann, kam zum Fenster und sagte mir, ich soll es dem bei mir wohnenden Oberfeldwebel sagen, dass wenn wir schießen hören, dies nur eine Übung sei und wir nicht glauben sollen, dass der Feind hier sei. Er grüßte dann mit Heil Hitler und ging
.
Winkler überfliegt das Getippte, ist zufrieden damit und schreibt weiter:
Ich glaube, es dürfte nach Mitternacht gewesen sein, als ich schiessen hörte. Ich machte mir aber auf Grund der mir vom Soldaten gemachten Mitteilung keine Gedanken und nahm an, dass dies die angesagte Übung sei. Wie ich erfahren habe, hat dieser Soldat auch die im Nachbarhaus wohnenden Soldaten und die Besitzer Spindelberger in gleicher Weise verständigt. Nach der Aussprache nach, die der Soldat hatte, war dieser kein Ostmärker
.
Die letzte Beobachtung der Baierböckin ist Winkler besonders wichtig. Sorgfältig tippt er sie in die Maschine. Nun hat der Gendarm nur mehr die üblichen Schlussformulierungen zu schreiben:
Vorstehendes wurde mir vorgelesen, habe es selbst durchgelesen und für richtig befunden. Hinzuzufügen habe ich nichts mehr
.
Diese letzte amtliche Formel ist in diesem Fall, denkt der Revierinspektor, natürlich ein Hohn, denn die Baierböckin konnte den ganzen Tag lang
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