2274 - Motoklon Hundertneun
stimmt, meldest du einen Strahlungsunfall und rufst um Hilfe. Hast du mich verstanden?"
„Um Hilfe rufen?" Hundertneun drehte den Kopf von links nach rechts und wieder zurück. „Dann werden unverzüglich Einsatztruppen hier anrücken ..."
„Natürlich", entgegnete Lyressea geistesabwesend. „Aber sicherlich keine Kampf-, sondern Rettungseinheiten." Sie studierte aufmerksam das glitzernde, glänzende Holobild der Hohlkugel, das sich stetig drehte und den Blickwinkel veränderte. „Nun kommt es auf jede Minute, ja auf jede Sekunde an. Erklär mir bitte die Funktionen hier an der Schalttafel. Ich möchte ein wenig mit diesem Sternenstaub spielen ..."
„Wir sollten uns um die Redundanz-Stationen kümmern", unterbrach sie der Motoklon. „Selbstverständlich. Ich habe das nicht vergessen. Aber zuerst führen wir unsere kleinen Manipulationen durch." Sie deutete in den Raum mit seinen Myriaden an Lichtquellen.
Der Motoklon trat näher, ohne die Verbindung über die feinen Stränge an seinem Knie zu lösen. Die rot leuchtenden Fasern wuchsen einfach mit jedem Schritt, den er tat, in die Länge.
Hundertneun gab ruhige, präzise Anweisungen, erklärte ihr die Funktionen am Schaltbord. Es war denkbar unkompliziert. Von hier aus konnte sie in unendlich fein übersetzten Bewegungsabläufen die BLENDE-Forts dazu bringen, die Proto- und Staubmassen des Kher-Diamanten zu verschieben.
Riesenhafte Projektoren sprangen auf den unbemannten Wachstationen an, bildeten gewaltige Antigravschaufler aus. Genau so, wie Lyressea es wünschte. BLENDE-001 bis BLENDE-014 verließen die Positionen, vergruben sich, aus zwei Richtungen aufeinander zusteuernd, in der Staubmasse, schoben sie vor sich her, immer mehr, bis die Schaufeln der Antigravprojektoren voll waren. Sie fuhren die überschüssigen Massen an den Rand der neu gebauten, dreidimensionalen Straße und setzten von neuem an.
Es war wie Schneepflügen! Zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort, hätte sie Freude und Stolz empfunden, hätte dem Spiel trieb, der in ihr erwachen wollte, nachgegeben.
So aber zwang Lyressea ihre Gedanken zurück in das Hier und Jetzt. Verinnerlichte, was sie in Wirklichkeit tat -und fuhr mit höchster Konzentration fort, neue Wege durch den Kher-Diamanten zu bahnen. Sie nutzte das Potenzial aller BLENDE-Forts, verdichtete da Staub und Materie, während sie dort riesige Lücken schuf.
Machte sie es wirklich? Wurde das, was sie hier auf einem banalen Schaltbrett simulierte, tatsächlich in die Realität umgesetzt? Es erschien ihr kaum glaubhaft. Die einhundertzweiundzwanzig Forts, ihre Spielzeuge, waren riesige Gebilde, aneinander gehängte Sechseckkörper mit Dimensionen, die in Kilometern gemessen wurden. Allein die kinetische Energie, die sie anwandte, musste wie ein Leuchtfeuer im Arphonie-Sternhaufen anzumessen sein; von den hyperdimensionalen Effekten ganz zu schweigen ... „Eine erste Alarmmeldung!", unterbrach Hundertneun ihre Gedanken. „Ich setze den vorgetäuschten Hilfe-Notruf nunmehr ab." Der Motoklon schwieg für einige Momente, lauschte scheinbar in sein Inneres und sagte dann: „Die drei Redundanz-Stationen werden soeben hochgefahren."
„Wie lange wird es dauern, bis sie eingreifen können?"
„Zehn Minuten, dann werden sie ihren Dienst aufnehmen und unsere Einflussnahme überbrücken."
Lyressea konnte sich lebhaft vorstellen, wie Prim-Direktoren, Dunkle Polizisten und Tagg Kharzani selbst in diesen Augenblicken versuchten, das Chaos zu analysieren, das sie und Hundertneun anstellten. Wie einander widersprechende Befehle gegeben wurden, Sicherungen bei den Verantwortlichen durchknallten, Ratlosigkeit herrschte, tausendfach für den Ernstfall geprobte Sicherheitsvorkehrungen nicht griffen. Wie panikerfüllte Untergebene Instruktionen falsch verstanden, irrational reagierten, sich gegenseitig behinderten.
Ein Motoklon würde zehn Minuten benötigen, um die Situation wieder in den Griff zu bekommen. Aber nicht die Kybb.
Es galt, diese Verwirrung aufrechtzuerhalten - oder weiter zu steigern. „BLENDE-NULL ist den drei Redundanz-Stationen vorgeschaltet, nicht wahr?" Sie wartete die Bestätigung Hundertneuns nicht ab, sondern redete weiter: „Bombardiere sie mit Weisungen. Einander widersprechenden Aussagen. Überfrachte sie mit den unterschiedlichsten Informationen. Dass alles unter Kontrolle sei, dass es sich um eine Übung handle, dass ein Irrtum passiert sei, dass es sich um eine zeitlich begrenzte Störung handle. Was
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