23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV
ernannten sogleich an Ort und Stelle eine Kommission, welche die einzelnen Stücke zu taxieren und gerecht zu verteilen hatte. Das geschah denn auch, und grad als der letzte Schatten in der Ritze der Kluft verschwunden war, hatte auch das letzte ihrer Pferde seinen neuen Herrn bekommen und die letzte ihrer Waffen ihre neue Stelle gefunden. Da war es nun aber auch beinahe Abend.
Die Bewachung der Gefangenen wurde den Kalhuran anvertraut, von deren Scheik man sicher sein konnte, daß er dieser seiner Pflicht genügen werde. Was hier nun noch zu geschehen hatte, konnte mir gleichgültig sein. Darum beschloß ich, heimzureiten, und Dschafar Mirza gesellte sich zu demselben Zweck zu uns. Da sahen wir weit draußen im Osten einen Kamelreiter kommen. Sein Tier war kein gewöhnliches. Es entwickelte eine Schnelligkeit, welche Dschafar zu dem Ausruf veranlaßte:
„Das kann nur ein Eilbote sein! Vielleicht wieder vom Schah-in-Schah!“
Er hatte ganz richtig vermutet. Wir ritten so, daß der Mann auf uns treffen mußte, und erfuhren da, daß er vom Beherrscher komme und je einen Brief an Dschafar Mirza und an den Ustad der Dschamikun habe. Der erstere bekam seinen Brief und las ihn sofort. Es war ein langer, schmaler, starkbesiegelter Zettel dabei. Dschafar lächelte, sagte aber jetzt noch nichts. Wir ritten weiter, mit dem Kurier Schritt haltend. Aber meinem Syrr schien der Geruch des Kamels unangenehm zu sein. Er schüttelte den Kopf wie gegen einen lästigen Mückenschwarm und drängte seitwärts ab. Das half nicht genug. Da bäumte er sich unwillig auf und setzte sich dann in einen Galopp, der mich weit, weit eher als die andern vor das Zelt Ahriman Mirzas brachte. Der Ustad war noch da. Er sagte, daß er soeben erst mit dem Lesen fertig geworden sei und mir erst morgen mitteilen werde, was er hier so ganz unerwartet gefunden habe. Ich erzählte ihm, in welcher Weise die Schatten entwaffnet und untergebracht worden waren, und dann kam der Kurier, welcher das Schreiben abgab.
Es war inzwischen so dunkel geworden, daß wir im Zelt Licht anbrannten, damit der Ustad es lesen könne. Es enthielt zwei Bogen, beide mit dem Siegel und der eigenhändigen Unterschrift des Beherrschers. Den einen gab er mir mit dem Bemerken, davon Gebrauch zu machen, sobald es mir beliebe. Es war – – – die volle, bedingungslose Begnadigung des Aschyk. Den andern steckte er ein, ohne jetzt schon über seinen Inhalt zu sprechen. Es war ihm zunächst um den Transport der Truhe zu tun, die er unmöglich hierlassen könne. Es sei nicht nur Wahnsinn, sondern geradezu Verrücktheit, derartige Papiere nicht besser aufzubewahren als der Prinz. Da erbot sich der Kurier, die Truhe mit auf sein Kamel zu nehmen. Er mußte ja mit nach dem Duar, um dort zu warten, bis der Bericht des Ustad und die Antwort Dschafars fertig waren. Sie wurde ihm hinaufgegeben und oben festgebunden, und dann ritten wir heim.
Heim! Ja, es ist Heimatgefühl, welches mir dieses Wort aus der Feder fließen läßt. Wer sich bei guten Menschen nicht daheim fühlt, für den gibt es überhaupt keine Heimat, weder hier noch dort. Er hat sie sich erst zu – – – ersühnen! Und wer da nicht weiß, daß es auch geistige und seelische Stätten gibt, welche köstlicher und heiliger sind als jedes irdische Vaterhaus, der ist ärmer als selbst der Bettler, dem die kleinste Herberge einen Platz zum Ruhen gewährt. Zu so einer heiligen Stätte war mir das Haus des Ustad geworden, und der Duar hier im Tal zu einem Wohnsitz von lieben Verwandten. Darum war der Tag ihrer Befreiung von Schatten und Schemen nicht bloß für sie, sondern auch für mich ein Freudentag, und ich horchte froh auf, als jetzt ganz da vorn eine krachende Salve von allen Kanonen ertönte und mit ihrem Donner die Feuer der Höhen erweckte.
Wir ritten langsameren Schrittes, um den sich entwickelnden Anblick hastlos zu genießen. Da stiegen zuerst drüben am Beit-y-Chodeh die Flammen auf, als ob dort ein Jesaias stehe, der sein „Mach dich auf, und werde Licht!“ in Feuergluten erschallen lasse. Und das ganze Tal gehorchte; die Berge ‚machten sich auf‘, und auf allen Höhen ‚wurde Licht‘. Und hoch über diesen Bergen zündete auch das Firmament jetzt seine Leuchten an und ließ ‚das Licht von oben‘ niedersteigen. Die Alabasterkrone erschien, uns im Sternenschein gezeigt, als ob sie der Erde vom Himmel entgegengestreckt werde weit hinaus in das Dunkel der Bergestiefe ragend. Da machte sich auch dieses
Weitere Kostenlose Bücher