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23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV

Titel: 23 - Im Reiche des silbernen Löwen IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ersehnte Sonne, so kam ihr Licht von der funkelnden Alabasterkrone hernieder, wie auf Engelsschwingen getragen, die sich hold und froh zur Erde senken. Sie küßte die Stirn, die Wangen, den Mund des genau unter dieser Krone stehenden Gebetes und floß dann über das ganze Tal, um zu verkünden, daß es bisher nur Morgen gewesen, nun aber endlich und wirklich Tag geworden sei.
    Der Ustad sprach kein Wort. Er hatte meine Hand ergriffen und drückte sie mir so, daß es allerdings keiner Worte bedurfte, ihn zu verstehen. Um so lauter waren die hinter uns Stehenden. Ihr Dogma zwang sie, die auf so rätselhafte Weise erschienene Figur als einen Greuel zu betrachten, denn Allah hat verboten, von beseelten Wesen Bilder anzufertigen. Wer vor Bildern betet, ist ein Götzendiener. Wer aber gar Bilder selbst beten läßt, der ist ein Gotteslästerer, wie es keinen größeren geben kann. Sie sagten das ganz ungeniert und in so scharfen Ausdrücken, daß ich die Selbstbeherrschung des Ustad bewunderte, der sich zu ihnen umdrehte und sie fragte, was sie eigentlich hier an dieser Stelle zu suchen hätten. Da öffnete der Selige den Mund und hielt seine Rede, deren Grundgedanke die Behauptung war, daß kein einziger von ihnen jemals daran gedacht habe, irgend etwas Feindseliges gegen die Dschamikun zu unternehmen. Sie seien keine Feinde und also augenblicklich freizulassen. Zur Bekräftigung gebe er im Namen aller sein Ehrenwort, daß er die Wahrheit gesprochen habe.
    „Im Namen aller? Wirklich?“ fragte der Ustad, indem er sie anschaute und sein Auge auf jedem einzelnen ruhen ließ.
    Da erhoben sie ihre Hände zum Zeichen der Bejahung, keiner von ihnen ausgenommen. Der Ustad nickte mir und Kara zu, ihm zu folgen. Er ging, ohne Antwort zu geben. Wir bestiegen unsere Pferde und ritten nach dem Duar. Unten angekommen, teilte er dem Oberleutnant mit, daß die Gefangenen frei seien, aber das Gebiet der Dschamikun sofort zu verlassen hätten.
    „Frei?“ rief Kara, der sich doch nicht halten konnte, fast zornig aus. „Sie haben ja bei ihrer Ehre gelogen, alle, alle! Der Selige, der Heilige, der Imam, die Generäle und sämtliche Taki, vom ersten bis zum letzten!“
    „Das weiß ich ebenso gut, wie sie es selbst auch wissen“, antwortete der Ustad lächelnd. „Aber grad darum gebe ich sie frei, denn solche Ehrenmänner möchte ich nicht einmal als Gefangene bei mir haben! Verstehst du mich nun?“
    Das erste, was wir nun taten, war, uns nach Ahriman Mirza und der Khanum Gul zu erkundigen. Denn daß die Katastrophe mit den Ruinen zugleich auch den Scheik ul Islam vernichtet hatte, das bedurfte ja keiner Frage. Der Oberleutnant sagte, daß wir im Hof des Chodj-y-Dschuna die Antwort finden würden. Dort angekommen, sahen wir beide. Die Khanum war tot, in den Säbel gestürzt. Der Mirza saß neben ihr, unbeschädigt am Körper, aber mit stumpfem Gesicht und leeren Augen. Er kannte uns nicht mehr. Er schien auch sich selbst nicht mehr zu kennen und leierte, wir mochten sagen, was wir wollten, nur immer und immer den Satz vor sich hin: „Ahriman Mirza ist der Fürst der Schatten, und wenn er stürzt, ist es mit ihnen aus. Ahriman Mirza ist der Fürst der Schatten, und wenn er stürzt, ist es mit ihnen aus – – –!“ Der Ustad hat es also erreicht: Ihn nur mit dem einen Worte ‚Chodem‘, am richtigen Ort und zur rechten Zeit angewendet, aus der ‚Schablone‘ herausgetrieben, die nichts und nichts als Lüge war! Da hatten wir sie vor uns, nicht die seidene, sondern die eigentliche schwarze Larve des Emir-y-Sillan. Und dieses psychologische Präparat wurde nun durch die Macht des Verhängnisses gezwungen, nichts und nichts weiter mehr zu tun, als die bisher so sorgfältig verhüllte Wahrheit ganz offen und nur immer und immer vor sich herzuleiern!
    Als wir aus dem Haus traten, trafen wir auf Agha Sibil und die Seinen, welche vor dem Nahen der Schatten ihr vollständig ausverkauftes Zelt abgebrochen und sich hinauf zu uns geflüchtet hatten. Sie kehrten zu dem verlassenen Platz zurück. Auch kamen von allen Seiten die Angehörigen der Festgäste und die Frauen und Kinder unserer heimischen Dschamikun herbei. Sie hatten sich selbstverständlich zurückziehen müssen und nun aber die Nachricht erhalten, daß sie sich wieder einstellen könnten. Man kann sich das Erstaunen denken, als sie die Veränderung sahen, welche mit dem Ruinenplatz vor sich gegangen war. Wir warnten sie, die gern sogleich hinaufgestiegen wären. Ehe man dies

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