2312
Tabubruch, Religion und anderen biologischen und kulturellen Assoziationen entkoppelt worden ist, für viele Menschen lediglich zu einer körperlichen Funktion von vielen geworden, die man entweder für sich allein oder mit anderen vollzieht und die ebenso angenehm wie Sport und Spiele, Unterhaltungen oder Darmbewegungen sein kann
traditionelle Ehe, Familienehe, Gruppenehe, Polygamie, Polyandrie, Panmixie, Zeitverträge, Horte, Zimmergenossen, sexuelle Freundschaften, Freunde, Pseudogeschwister, Mitreisende, Solisten,
Swan im Chateau Garden
S wan flog nach Süden und fuhr mit dem Quinto-Aufzug wieder nach oben, wobei sie einmal mehr einer Aufführung der Satyagraha beiwohnte, gemeinsam mit dem gesamten Publikum mitsang und am Ende des ersten Aktes mittanzte und dabei bunte Wimpel hinter sich herzog. Das Chaos der sich wiederholenden Gesangsstimmen, die einander in der Mitte des Akts überlagerten, kam ihr in jenem Moment absolut richtig vor. So war das Leben. Sie konnte diese Gesänge aus ihrer Kehle schleudern, als prügelte sie auf einen Feind ein. Der Kampf um den Frieden war mehr Kampf als Frieden, aber jetzt war sie voller Energie und im Fluss der Ereignisse.
Oben in Bolivar musste sie sich beeilen, um noch eine Fähre zum Chateau Garden zu erwischen, ein großes Terrarium, das sie selbst gestaltet hatte, als sie noch jung gewesen war – und dumm. Es handelte sich um eine Landschaft, in die Schlösser eingebettet waren, wie an der Loire oder der Themse. Die großen, kastenförmigen Anwesen waren geschmackvoll zwischen Gerste- und Hopfenfeldern, Weinbergen und Barockgärten verteilt.
In dem Terrarium war es so grün wie eh und je, stellte Swan fest, und es sah aus wie eine dieser schrecklichen virtuellen Landschaften von Spielen, in denen man nichts wirklich anfassen kann. Praktisch alle Pflanzen in den Barockgärten um die großen Häuser herum waren Formschnittarbeiten, und als ob das nicht schon an sich eine fragwürdige Idee gewesen wäre, hatte man diese wild wuchern lassen: Der Künstler war auf einem der Teiche Schlittschuh gelaufen, durchs Eis gebrochen und ertrunken. Und nun sahen all die Wale und Otter und Gürteltiere aus, als würde man sie an den Haaren hochziehen.
In der Stadt selbst (Ziegeldächer, und die üblichen Fachwerkhäuser im Pseudo-Tudorstil) gab es einen großen Park mit einer weiten, glatten Rasenfläche, bei der es sich genau genommen um ein weiteres Meisterwerk des Formschnittkünstlers handelte: Das Gras auf diesem Rasen war kein gewöhnliches Gras, sondern enthielt auch sehr feines Alpenwiesengras, Seggengräser und Moose, in einer reichhaltigen Mixtur, die darüber hinaus mit einer Reihe winziger, niederalpiner Wiesenblumen versetzt war, darunter Blaubeere, Polsternelke, Aster und Steinbrech. Alles in allem hatte man das Gefühl, über einen lebenden Perserteppich zu gehen. In diesem bunten Teppich gab es lange Streifen reinen, feinen Grases, wie das Übungsgrün beim Golf, die alle längs zum Zylinder verliefen. Es handelte sich um eine Rasen-Bowlingbahn mit etwa einem Dutzend Spielflächen.
Hier war es Winter, als befänden sie sich in Patagonien oder Neuseeland, und von dem Sonnenfleck auf dem Sonnenstreifen ging ein Streulicht aus, das Schatten mit unscharfen Rändern warf und der Luft einen rostigen Ton verlieh. Kleine Wolken hatten sich um den Sonnenfleck zusammengezogen, weiße geblähte Pilze, rosa überhaucht. Stadt und Park waren von den Schatten dieser Wolken gesprenkelt, und darüber erstreckten sich wogende Gerstenfelder und Weinberge. Einen Moment lang verspürte Swan einen heftigen Anflug von Terrariumsschwindel, als sie nach oben blickte.
Hier gab es kein Merkurhaus, also bezog sie ein leeres Ramada-Hotel am Parkrand, unter einer Reihe Maulbeerfeigenbäume, die in ihrem prachtvoll bunten Wintergewand standen. Da sie sich zu erfüllt fühlte, um sich hinzusetzen oder hinzulegen, warf sie ihre Reisetasche auf das quadratische Bett und ging spazieren. Im Ort machte sie Halt, um einen Tee zu trinken, und sah von ihrem Café aus eine Gruppe Leute, die zum Bowls-Rasen unterwegs waren. Sie kippte den letzten Schluck Tee herunter und ging ihnen nach, um zuzusehen.
Die Grünstreifen wurden als Bahnen bezeichnet und verliefen entlang der Längsachse des Zylinders, sodass sie eben waren. Das war wichtig, weil die Corioliskraft stark genug war, jeden Wurf nach rechts abzufälschen. Wie bei dieser Sportart üblich, waren die Bälle asymmetrisch; es handelte sich um
Weitere Kostenlose Bücher