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24 - Ardistan und Dschinnistan I

24 - Ardistan und Dschinnistan I

Titel: 24 - Ardistan und Dschinnistan I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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welche Meinung von beiden ist wohl die deinige, Sihdi?“
    „Ich glaube, was die Bibel sagt, und ich glaube auch an das, was mir das Herz sagt. Und dieses Herz stellt es mir als mit der Zeit erreichbar hin, daß ein jeder Mensch, wenn er es nur will, recht wohl der Beschützer, Helfer und Engel seiner Nebenmenschen sein kann. Darum –“
    Ich mußte die Rede abbrechen, weil jetzt der Dschirbani kam. Halef rückte nach der äußersten Ecke der Bank. Der junge, geistvoll ernste Ussul kam ihm nicht nur körperlich als Riese vor. Der Dschirbani grüßte kurz und freundlich und trat dann an die Balustrade. Er schaute geradewegs in das soeben wieder hoch emporlodernde Feuer der Berge hinein. Seine riesige Gestalt stand wie in Flammenglut. Dann sagte er:
    „Und da hinauf wollen wir! Mitten durch diesen Brunst und Brand hindurch! Wie schwer, wie schwer! Und wie gefährlich! Mein Vater sagte, wenn er von seiner Heimat sprach, daß nur der nach Dschinnistan gelange, der einen Schutzgeist, einen führenden Engel findet.“
    Hierauf nahm er an meiner Seite Platz und gab mir Kunde von dem Verlauf des Abendessens und der darauffolgenden Besprechung seiner Forderungen. Er hatte einen vollen und ganzen Erfolg errungen, nichts war ihm abgeschlagen worden. Und er gestand es fröhlich ein, daß er das nicht etwa seiner Klugheit und Geschicklichkeit im Verhandeln, sondern nur dem Einfluß der Herrin der Ussul zu verdanken habe.
    Nun sahen wir einen langen Fackelzug, der sich von weit draußen her dem Tempel näherte.
    „Das sind meine Hukara. Es ist fast Mitternacht“, sagte der Dschirbani. „Siehst du die Menschenmenge auf dem Platz?“
    Erst jetzt bemerkte ich, von ihm darauf aufmerksam gemacht, daß sich eine zahlreiche Menge vor dem Tempel angesammelt hatte. Alle waren so still, so ruhig! Wie sonderbar doch diese halbwilden Menschen sind!
    „Sie wollen der Einsegnung zuschauen“, erklärte mir mein junger Freund, „dürfen aber nicht eher hinein, als bis geläutet wird.“
    „Geläutet?“ fragte ich. „Gibt es hier Glocken?“
    „Nein. Wir läuten mit Hörnern.“
    „Mit solchen, wie ich heut bei dir gesehen und gehört habe?“
    „Ja.“
    Wir hörten unter uns die Räder des großen Leuchters schwirren. Er wurde angebrannt. Der Fackelzug erreichte den Platz, marschierte rund um ihn herum und verschwand dann im Eingang des Tempels, ohne daß die Fackeln ausgelöscht wurden. Dann begann das Läuten. Zunächst erklang ein einzelner, tiefer, außerordentlich starker, langgezogener Ton. Ihm folgten drei andere Töne von verschiedener Höhe. Diese vier Töne wurden zunächst zusammen lang ausgehalten, dann aber, wie läutende Glocken, einzeln angeschlagen, wie ein gebrochener Akkord. Das machte auf uns, die wir hoch oben standen, wo die Tonwellen sich alle vereinigten, einen so gewaltigen Eindruck, daß es gar nicht möglich ist, ihn durch Worte auch nur anzudeuten. Es war, als sei die Zinne, auf der wir standen, ein kleines Boot, das auf einem brausenden Meere von Tönen und Akkorden umhergetrieben wurde, das nicht zur Ruhe kommen konnte, indem der Grundton seine sehnsuchtsvollen Rufe immer wieder von neuem begann. Wer das hörte, den zog es mit innerer Gewalt zum Tempel hin.
    Aber außer diesen Tönen sammelte sich noch etwas anderes grad unter unsern Füßen, nämlich der Rauch und Qualm von über sechshundert Fackeln, die im Innern des Tempels brannten. Dieser böse, dicke Dunst gelangte zwar auch zwischen den Holzsäulen, welche das Dach trugen, heraus in das Freie. Er entschlüpfte dort dem Innern und bildete, indem er sichtbar rund um uns aufstieg, einen fast erstickenden Ring um uns, der uns die freie Aussicht nach den Bergen und nach dem Himmel raubte. Aber die hartnäckigsten und stinkigsten Schwaden legten sich grad unter unsern Füßen an, und es war nicht tröstlich, uns sagen zu müssen, daß wir uns da hindurchzuatmen hatten, um dorthin zu gelangen, wo man uns erwartete.
    „Das ist schlimm!“ lächelte der Dschirbani. „Hoffentlich ersticken wir nicht! So wie uns jetzt, muß es dem Gott zumute sein, wenn er aus dem Paradies tritt, um nach Ardistan zu gehen! Und so muß es jedem reinen Geist und jedem edlen Menschen grauen, in die Atmosphäre derer, die in Stickluft leben, hinabzusteigen. Weißt du Ssahib, daß wir für immer von hier gehen?“
    „Ja.“
    „Tut es dir nicht leid?“
    „Nein. Die einzige, die mich hier halten könnte, Taldscha, folgt uns ganz sicher nach.“
    „Das denke auch ich.

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