24 - Ardistan und Dschinnistan I
eherne Schienen an seinen Beinen, und ein eherner Schild bedeckte seine Schultern. Und der Schaft seines Spießes war wie ein Weberbaum, und selbst das Eisen seines Spießes hielt sechshundert Seckel Eisen.“
Dieser Goliath war höchstwahrscheinlich nicht größer und auch nicht stärker gewesen als der Reiter, den ich jetzt vor mir sah und der um anderthalb Kopf länger war als ich, mit dementsprechender Schulterbreite und Muskulatur. Er trug zwar keinen ehernen Helm auf seinem Haupt und keinen erzenen Panzer um den Riesenleib, aber die Lanze in seiner rechten Faust glich auch einem Weberbaum, und das Messer, welches in seinem Gürtel steckte, hatte eine derartige Form und Schwere, daß es zugleich als Beil, wenn nicht gar als Axt gebraucht werden konnte. Auf dem Rücken hing ihm ein gewichtiger, aus Krokodilsrücken gefertigter Bogen und darunter ein für Wurfspeere und Pfeile undurchdringlicher Köcher aus Schildkrötenschale, der infolge seiner Größe auch als Schild zu verwenden war. Die Füße steckten bis herauf an das Knie in dicken, stiefelähnlichen Baströhren, die dadurch festeren Halt bekamen, daß man sie mit breiten Lederriemen umwunden hatte. Die Sohlen waren von einer solchen Länge und Breite, daß sie die Größe der Stapfen im Gras mehr als hinreichend erklärten. Die Oberschenkel steckten in sehr festen ledernen Hohlzylindern, die man unter Zuhilfenahme der Phantasie als Hose bezeichnen konnte. Von Leder war auch die Bekleidung des Leibes, eine Art von Koller, welches vorn sehr weit offenstand und eine vollständig und sehr dicht behaarte Brust sehen ließ. Man hatte bei diesem Anblick das Gefühl, daß auch der ganze übrige Körper in der gleichen Weise behaart sein müsse. Dementsprechend war der unbedeckte Kopf durch einen dunklen Haarwald geschützt, der wie eine Mähne bis halb über den Rücken herunterhing, und vom Gesicht waren nur einige kleine Stellen Haut zu sehen; das andere alles war Bart, der vorn fast noch weiter herniederreichte als hinten das Haar des Hauptes. Die Augen dieses Mannes konnten, genau wie diejenigen seines Pferdes, nur als ‚Äuglein‘ gelten; sie waren viel zu klein für diese Hünengestalt, für diesen Riesenkopf und für dieses breite Gesicht, über dessen Haarwald sich eine zwar niedrige, aber außerordentlich kräftige Stirn erhob. Einen Sattel gab es nicht, Steigbügel auch nicht, und das Zaumzeug bestand sehr einfach aus einem Riemen, der dem Pferd um das Maul geschlungen war, so daß der Reiter die beiden Enden in den Händen hatte. Das war sehr bequem für das Tier, nicht aber für den Reiter, dem in dieser Weise weiter nichts als nur der Schenkeldruck zur Verfügung stand, sich das Pferd gefügig zu machen.
Man denke ja nicht, daß es in der Absicht dieser Beschreibung liegt, Roß und Reiter lächerlich zu machen. Ich habe ganz im Gegenteil zu konstatieren, daß die ungewöhnlichen Formen beider mich zwar überraschten, doch keineswegs nach der heiteren, sondern nur nach der ernsten Seite hin. Die Doppelfigur, die vor mir stand, machte den Eindruck der aufrichtigen, ungekünstelten Natürlichkeit, der ungeschmälerten Kraft, der unbedingten Furchtlosigkeit, der überstrotzenden Gesundheit und – last not least – jener geraden, unbekümmerten Gutmütigkeit, die allen ihrem Ursprung noch ziemlich nahestehenden Wesen eigen ist. ‚Ursprung‘, ja, das war das richtige Wort für die Vorstellung, die man sich bei dem Anblick dieses Mannes und dieses Pferdes machte. Hätte ich ein Märchen zu schreiben, in welchem der Urmensch auf dem Urpferd zu erscheinen hat, so würde ich ganz unbedingt zu dem Bild greifen, welches ich hier vor Augen hatte.
Der Riese betrachtete mich ebenso still und forschend wie ich ihn. Dann fragte er:
„Wo kommst du her?“
Ich deutete hinter mich und antwortete:
„Daher.“
„Vom Meere?“
„Ja.“
„Wo willst du hin?“
„Dorthin.“
Indem ich dies sagte, deutete ich vorwärts. Da forderte er mich auf:
„Drücke dich bestimmter aus! Daher und dorthin, das sind keine Antworten! Du scheinst mich nicht zu kennen?“
„Ich habe dich allerdings noch nicht gesehen.“
„So höre, was ich dir sage und merke es dir! Ich bin Amihn, der oberste Scheik des unbesiegbaren Stammes der Ussul. Hast du das verstanden?“
„Ja.“
„So verhalte dich dementsprechend! Das ganze Land, von der Küste des Meeres an bis dort hinauf, wo hinter der Landenge El Chatar die Wüste der Tschoban beginnt, ist mein Eigentum. Alles,
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