240 - Zeitsplitter
Wenn der verdammte Eisschlag nicht gleich aufhörte, waren sie geliefert. Dann würden sie weder die USS PHILIPPINE SEA, von der sie gestartet waren, noch die warme Heimat jemals wieder sehen.
Er hatte keine Lust, in diesem weißen kalten und hässlichen Niemandsland, in das ihn der Leibhaftige persönlich gelockt hatte, zu krepieren. All die schönen Versprechungen seiner Vorgesetzten, die Appelle an Ruhm und Vaterland…
Drauf geschissen!, dachte Parker mit ebenso viel Wut wie Verzweiflung. Längst legte nicht mehr er selbst Schalter um oder hielt das Steuer, das übernahmen seine Instinkte und Reflexe, während sich tief in Parkers Herz dieselbe niederschmetternde Erkenntnis breit gemacht hatte, die Huxley gerade zum Besten gegeben hatte.
Für’n Arsch… Herrgott, genau das waren sie – ihr Flugboot schmierte ab; weder Instinkte noch Reflexe konnten es daran hindern. Der Höhenmesser spielte verrückt. Alles unter einem Wunder war jetzt zu wenig.
Jefferson spürte, wie die Nase des Fluggeräts nach unten kippte. Die Leitwerke reagierten auf keinen Versuch mehr, den Kurs – Kurs? Ein verdammter Absturz! – zu korrigieren.
Die Sicht war immer noch nahezu Null. Und sie blieb es bis zum bitteren Ende.
Erst der Aufschlag brachte die verhängnisvolle Melange aus Glas und Eis zum Bersten. Aber dies geschah in derselben Sekunde, da auch alles andere zu Bruch ging…
***
Seine Augenlider waren zugefroren, und es war mit furchtbaren Schmerzen verbunden, sie mit einer willentlichen Anstrengung und beinahe Gewalt zu öffnen. Aber es war auch genau dieser Schmerz, der ihn vollends wieder zur Besinnung brachte. Obwohl ihm alles andere, jeder Knochen im Leibe, jede Stelle seines Körpers sehr viel mehr wehtat.
Kein Wunder – nach diesem Absturz…
Ein Wunder allerdings war es, dass Jefferson Parker noch lebte. Und ungerecht dazu…
Das Erste, was er sah, als seine Lider sich mit einem – hoffentlich nur in seiner Einbildung – hörbaren Reißen voneinander lösten, war das Gesicht von Airman 1st Class Thomas Huxley, den es ebenso aus der Maschine geschleudert hatte wie ihn. Ein totes Gesicht.
Seine Augen standen offen, waren groß und rund und trüb von einer dünnen Eissicht, zu der die Tränenflüssigkeit gefroren war. Gefroren war auch das Blut, das ihm aus dem Mundwinkel und irgendwo aus dem inzwischen steifen Haar gelaufen war.
Es tat Jefferson Parker leid um den Jungen. Und er wünschte sich, an seiner statt gestorben zu sein, ganz ehrlich und ernsthaft; in diesem Moment jedenfalls, der von Verzweiflung und tausend anderen Dingen, Gefühlen und Eindrücken geprägt war, die Parker noch nie erlebt und erfahren hatte. Weil er noch nie einen Flugzeugabsturz er- und überlebt hatte.
Thomas Huxley war drei – oder vier? – Jahre jünger als er. Aber im Gegensatz zu ihm, Parker, hatte Huxley ein Leben gehabt, in dem er vielleicht nicht alles, aber vieles richtig gemacht hatte. Während in Parkers geringfügig längerem Dasein eine Menge falsch gelaufen war. Von seiner Frau, die seine große High-school-Liebe gewesen war, hatte er sich scheiden lassen, vor drei Jahren schon.
Nachdem sie ihn mit seinem besten Freund betrogen hatte. Dummerweise hatten sie bis dahin quasi auf Kosten ihrer Eltern gelebt, zumindest aber in einem Haus, das seine Ex-Schwiegereltern ihnen geschenkt hatten.
Nach der Scheidung saß Parker also auf der Straße und konnte im Grunde froh sein, in der Marine wenigstens so etwas wie ein Zuhause zu haben. Das Zuhause seiner Eltern gab es schon lange nicht mehr – sein Vater hatte das Haus versoffen, bevor er selbst an Leberversagen gestorben war…
Der Gedanke an den Tod lotste Jefferson Parker zurück aus seiner Vergangenheit in die Gegenwart – die nun Thomas Huxleys Endstation geworden war und keine Zukunft mehr für ihn bereithielt, keine, die er mit seiner jungen und gerade erst im Entstehen begriffenen Familie hätte verbringen können.
Thomas Huxley war erst seit ein paar Monaten verheiratet gewesen. Und seine Frau Mary hatte ihm zwei Tage vor dem Start von Operation Highjump eröffnet, dass er Vater werde.
Jetzt würde er das nicht mehr werden. Jetzt lag Thomas Huxley tot und steif im ewigen Eis, Tausende von Meilen weit weg von Mary und seinem ungeborenen Kind, aber nur ein paar Fuß entfernt von Jefferson Parker.
Der hatte Glück gehabt und war, als sie aus der Maschine geschleudert wurden, in relativ weichem Schnee gelandet – Huxley auf betonhartem Eis, das ihm den
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