263 - Von Menschen und Echsen
Das saubere Wasser mehrerer Bäche sammelte sich hier in einer flachen Kuhle, um wenige Schritte weiter in einen tiefen Abgrund zu stürzen.
Eine kühle Brise wehte vom Meer her. Sie roch ein ganz klein wenig nach Frühling.
Bahafaa atmete tief durch und begann mit der Arbeit. Sie tauchte die Stoffe ins klare Wasser, rieb sie mit der flachsigen Talgseife und schlug sie anschließend über die Flachfelsen, dass es nur so spritzte. Der Ton hallte weithin über die Wälder. Vögel und andere Tiere scherten sich nicht darum; sie waren diese Geräusche gewohnt. Sie schnatterten, keckerten, grunzten und knurrten weiterhin, als wäre nichts geschehen.
Der Tag war schön. Seifenblasen trieben davon, Sonnenlicht ließ sie bunt schillern. Bahafaa erinnerte sich an eine kleine Melodie, die ihre Mutter immer wieder gesummt hatte. In Momenten wie diesen gerieten all ihre Probleme in den Hintergrund.
Bahafaa hielt ihr liebstes Oberteil gegen das Licht einer müden Sonne und betrachtete es kritisch. Es war so dünn, so fadenscheinig geworden, dass sie beinahe hindurchschauen konnte. Die Farben waren ausgebleicht, die Ränder zerfranst. Außerdem war sie aus dem Teil herausgewachsen. Ihre recht üppigen Brüste und eine Speckschicht um den Bauch machten es unwahrscheinlich, dass sie das gute Stück jemals wieder anlegen würde.
»Ich möchte waschen«, hörte Bahafaa eine mürrisch klingende Stimme hinter sich. »Scher dich weg von hier!«
Sie drehte sich um; wie im Reflex raffte sie all ihre Sachen zusammen und tat, wie ihr geheißen wurde.
Warum eigentlich , fragte sich Bahafaa. Bin ich etwa weniger wert als Brythuula? Soll sie doch warten! Schließlich war ich vor ihr an der Waschstelle!
»Ist was?«, fragte Brythuula und warf ihr einen giftigen Blick zu.
»Nein.« Bahafaa senkte den Kopf, schnürte ihre nassen, halb gewaschenen Sachen zu einem Bündel zusammen und verließ den Ort. Sie hatte keine Lust, einen Streit vom Zaum zu brechen, den sie niemals gewinnen konnte.
Die Wettergötter gaben sich launisch, wie immer zu dieser Jahreszeit. Sonnenschein wechselte zu Regen, Regen zu matschigem Schneefall. Dunkle Wolken zogen übers Land - und über Bahafaas Gemüt.
Eigentlich konnte sie zufrieden sein, in ihrer Rundhütte, die sie für sich alleine hatte, weitab von den anderen Wohnhäusern. Sie war immer schon ein stilles Wässerchen gewesen, das den Kontakt mit Gleichaltrigen mied. Auch jetzt war sie kaum auf Gesellschaft aus. Niemand redete ihr drein, wie sie ihr Leben zu gestalten hatte, niemand zwang ihr seine Gegenwart auf, und das war gut so.
Dennoch vermisste sie einige Dinge. Gelächter, zum Beispiel. Oder das Gespräch mit jemandem, dem sie wirklich, wirklich vertrauen konnte. Oder… oder…
Zuneigung.
Bahafaa pfefferte den Sack mit den ungewaschenen Kleidungsstücken in eine Ecke und hängte jene Teile, die sauber genug waren, auf ein Seil aus geflochtenem Darm.
Mürrisch kümmerte sie sich um die weiteren Morgenarbeiten. Bald begann das Vormittagstraining. Natürlich würde man ihr einen Platz am Rande des Geschehens zuteilen, doch das scherte Bahafaa nicht. Ihre Waffenhand war nicht sonderlich stark ausgeprägt, Geschicklichkeit und Reaktionsvermögen ließen ebenfalls zu wünschen übrig. Sie hatte gelernt, wie man sich im Falle eines Angriffs zu verhalten hatte; nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Nach einem spärlichen Mittagsmahl musste sie wie jede Woche bei den Arbeiten an der Königsfestung mitwirken. Steine gehörten neu gesetzt, die Bestände mussten erfasst und Notvorräte ergänzt werden. Mit ihrem Leben stand sie dafür ein, dass einer der südlichen Ecktürme dem Sturm einer Horde Festland-Barbaren standhalten konnte. Selbst sie als das unbedeutendste Mitglied der Dorfgemeinschaft hatte eine wichtige Aufgabe zu erfüllen, und das erfüllte sie mit Stolz.
Sie kehrte den Staub aus der Hütte, bereitete ein gut abgehangenes Stück Fleisch für das Abendmahl vor und wählte drei schrumpelige Tofanen als Beilage aus. Wenn die Übungs- und Arbeitseinheiten nicht allzu viel Zeit in Anspruch nahmen, würde sie an den Kochherd zurückkehren, noch bevor die Sonne den Horizont berührte.
Bahafaa ließ zu Ehren ihres Elnaks, dessen Namen nur sie alleine kannte, ein paar Getreidekörnchen auf der kleinen Veranda zurück. Wenn er ihr gnädig gestimmt war, würde er sie an sich nehmen, bevor sie zurückkehrte. Entweder er - oder die Tiere des Waldes.
Sie lächelte. Eigentlich spielte es keine Rolle.
Weitere Kostenlose Bücher