275 - Licht und Schatten
Postapokalypse macht man ganz schön Karriere.
»Ich will es versuchen.« Aruula konzentrierte sich.
Matt blickte auf und schrak unwillkürlich zusammen. Grao hatte seine Gestalt gewandelt und sah tatsächlich wie ein biblischer Engel aus.
»Was soll ich tun?«, fragte er.
»Nichts«, gab Matt zurück. »Schlag einfach leicht mit den Flügeln, das genügt.«
Aruula tastete sich in den fremden Geist hinein, und wieder schlugen ihr die aufgescheuchten Gedanken des Schattenmannes entgegen.
... rette meine Seele, Heilige Jungfrau, ich rufe dich an ...
»Bartolomé - höre mich.« Murmelnd artikulierte sie die Worte, die sie gedanklich in seinen Geist hinein sprach. Maddrax und der Daa'mure sollten mithören können. »Ein Engel des Herrn ist gekommen, um für dich zu streiten! Zwei Heilige sind bei ihm.«
Der Gedankenstrom des Schattenmannes oben auf der Düne riss jäh ab. Offenbar hatte er die geflügelte Gestalt auf dem Strand wahrgenommen. Er sank in die Knie und reckte die Schattenarme gen Himmel. Eine Flut von Gedankengestammel brach über Aruula herein.
O Heilige Jungfrau Maria, erhabenste Gottesmutter, du hast deinen unwürdigen Diener erhört! Ich bitte dich: Schütze mich gegen die Wut des Teufels, schicke deinen hehren Engel…
»Bartolomé - höre mir zu!«, unterbrach Aruula seinen Gedankenschwall. »Wir werden das Böse besiegen, aber du musst uns unterstützen in unserem Kampf.«
Matt beugte sich wieder hinab und flüsterte ihr ins Ohr. Aruula sprach seine Worte nach und schickte sie gleichsam in Bartolomés Geist: »Der Teufel entzieht sich den göttlichen Streitern, flieht feige in andere Sphären. Wie können wir ihn greifen, um Gottes Macht an ihm zu wirken?«
Die Antwort kam prompt. Solange er durchlässig ist wie Nebel, kann man ihn nicht fassen, Heilige Jungfrau. Doch je mehr Seelen er gefressen hat, desto körperlicher und angreifbarer werden er, das Schiff und wir, seine Sklaven.
Grao in seiner Engelsgestalt nickte. »Das entspricht meiner Beobachtung: Der Hüne unter den Schatten kam kaum noch durch die Festungsmauer, nachdem er einige Opfer versteinert hatte.«
»Die Lebensenergie sättigt die Schatten nicht nur, sie holt sie auch immer weiter in unsere Dimension«, führte Matt seinen Gedankenfaden weiter, den er am Morgen auf der Festungsmauer gesponnen hatte. »Und wie es aussieht, haben vor allem Tachyonen diesen Effekt. Aruula und ich… Aruula!«
Er sah, dass seine Gefährtin sich plötzlich verkrampfte. Ihre Finger krallten sich in den Sand, sie stöhnte auf.
»Aruula, was ist los?«, fragte Matthew besorgt.
»Das… das Wesen«, presste sie hervor. »Es hat den Verrat des Schattens bemerkt. Es greift ihn an!« Sie japste nach Luft. »Ja… ja, ich verstehe«, murmelte sie. Offenbar bestand die geistige Verbindung zu dem Schattenmönch noch immer.
Die im nächsten Moment abrupt abriss. Ein mentaler Schrei ließ Aruula zusammenzucken. Sie presste die Fäuste gegen die schmerzenden Schläfen, kippte zur Seite. Matt hielt sie fest.
Er und der Daa'mure sahen zum Dünenkamm hinauf. Dort, wo eben noch der Schattenmönch gestanden hatte, löste sich jetzt eine Nebelschwade auf. Eine Abendbrise verwehte sie.
»Bartolomé ist vernichtet«, flüsterte die Kriegerin. »Das Wesen hat ihn ausgelöscht.«
»Was hat er zuletzt noch gesagt?«, wollte Matt wissen.
»Dass der Teufel ohne das Schiff und die Schatten hilflos wäre. Wir… müssten den Stein aus dem Rumpf lösen, dann hätte er keine Macht mehr über sie! Aber das geht nicht, solange er keinen festen Körper hat.«
»Das ist alles?«, ließ sich Grao enttäuscht vernehmen. Er kehrte in seine Echsengestalt zurück. »Damit sind wir so schlau wie vorher.«
»Noch etwas«, sagte Aruula. Sie erhob sich schwankend und strich sich die nassen Haare aus dem Gesicht. »Das Steinwesen hat die anderen sieben Schatten gerufen. Sie sind auf dem Weg. Entweder wir handeln jetzt sofort oder nie.«
»Aber was könnten wir denn tun?« Zum ersten Mal glaubte Aruula, eine Art Gefühlsaufwallung aus Grao'sil'aanas Gestik und Tonfall zu lesen: Er schien verzweifelt. »Solange Schiff und Stein nur halbstofflich sind, können wir beides nicht einmal berühren!«
Matt Drax sah ihn nachdenklich an. »Und wenn wir dafür sorgen, dass sie stofflich werden?«
Es war heraus, noch bevor er sich die Konsequenzen des Vorschlags bewusst machen konnte.
Aruula begriff sofort: »Du meinst, wir füttern ihn mit unseren Tachyonen?«, sagte sie tonlos.
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