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30 - Auf fremden Pfaden

30 - Auf fremden Pfaden

Titel: 30 - Auf fremden Pfaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Gluten, Lichtern, Farben und Nuancen, ein Schauspiel, welches wahrhaft überwältigend auf mich gewirkt hätte, wenn nicht der Jäger in mir erweckt worden wäre.
    Die Spur des Bären war in dem tiefen Schnee ganz deutlich zu erkennen, und nach kurzer Zeit sahen wir ihn selbst als dunkeln, sich rasch fortbewegenden Punkt auf der weißen Fläche des Sumpfes erscheinen. Es mußte ein gewaltiges Tier sein, da er imstande war, bei einem so raschen Lauf das Rentierkalb mit sich fortzuschleppen.
    Dennoch brauchten wir uns vor ihm nicht zu fürchten. Der lappländische Bär ist noch weniger gefürchtet als der Wolf; er besitzt nicht im entferntesten die Furchtbarkeit, welche z.B. den nordamerikanischen Grizzly so gefährlich macht, und wagt sich nur dann an den Menschen, wenn ihn die Notwehr dazu treibt. Die Lappen waren alle sehr gewandte Schneeschuhläufer. Wir flogen mit der Schnelligkeit eines Eilzuges über die Fläche dahin; aber dies schien dem alten Pent noch immer nicht flüchtig genug zu sein.
    „Schneller“, rief er, „sonst erreicht er den Finop (Hügel) und versteckt sich hinter den Plassait (Felsen), wo wir ihm nur schwer folgen können!“
    Wir griffen weiter aus; aber es war, als habe der Bär die Worte des Anführers vernommen. Er bog plötzlich nach links ab. Das Tier mußte seine Verfolger bemerkt haben und trottete nun dem Hügel zu, welcher den Vorläufer des Fjälls bildete, der mit seinem vom Schnee bedachten Tannendunkel auf das Sumpfland niederblickte. Wir suchten dem Flüchtling den Weg abzuschneiden, aber es gelang uns nicht; er war aus unserem Auge entschwunden, noch ehe wir den Hügel erreichten.
    „Hier ist die Käja (Spur)“, meinte Onkel Satte; „sie führt gerade an der bösesten Stelle empor. Legt die Ski ab! Sie taugen hier nichts mehr.“
    Wir hingen die Schneeschuhe über und stiegen die steile Lehne in die Höhe. Der Schnee lag mehrere Fuß tief, was den Aufstieg sehr beschwerlich machte. Wir gaben uns alle mögliche Mühe, so daß wir unter unserer schweren Kleidung in Schweiß gerieten, kamen aber doch nur langsam vorwärts. Endlich erreichten wir die Kuppe des Hügels, mußten uns aber mit der Spur des Bären begnügen; er selbst hatte einen bedeutenden Vorsprung gewonnen.
    Das Terrain war hier außerordentlich zerrissen. Wir mußten uns zwischen scharfen, halb verschneiten Felstrümmern hindurchwinden, bald rechts, bald links, bald vorwärts, bald wieder zurück. Es war, als habe sich der Bär ein Extrapläsir gemacht, uns recht in die Irre zu führen. Und dabei durften wir die Vorsicht keinen Augenblick außer acht lassen, da es hinter jedem Stein möglich war, auf ihn zu stoßen.
    Endlich erreichten wir eine kleine Erhöhung, wo er sich eine kurze Rast gegönnt hatte. Wir hatten es wirklich mit einem ganz ungewöhnlichen Schlaukopf zu tun. Er hatte sich für diesen erhöhten Standpunkt entschieden, weil er von hier aus unser Nahen bereits von weitem bemerken konnte, und war zugleich so klug gewesen, die ihm gewordene Frist zu einem schnellen Imbiß zu benutzen. Er hatte im allerhöchsten Fall zehn Minuten dazu übrig gehabt, aber während dieser kurzen Zeit war doch das Kalb beinahe ganz verschwunden.
    „Wuoike – o weh!“ rief Vater Pent. „Dieser Partne pahakase (Sohn des Teufels) hat uns nur die Haut und die Füße übrig gelassen. Hautesn so mon kalkap lapmet – ich werde ihn zu Tode prügeln!“
    Er schwang das Schaufelende seines Spießes drohend über dem Kopf und nahm die Spur von neuem auf. Sie führte jetzt in einer steilen Schlucht zum Fjäll empor. Der hohe Schnee war uns außerordentlich hinderlich; wir glitten fast bei jedem Schritte wieder abwärts, und es dauerte eine lange Zeit, ehe wir die Höhe des Waldes erreichten. Es war von Vorteil, daß die Tannen des letzteren sehr licht standen; zahlreiche Felsen lagen zerstreut zwischen den Stämmen; die Spur war deutlich zu sehen.
    Immer einer hinter dem andern, schritten wir lautlos vorwärts. Da, eben als wir auf eine Lichtung treten wollten, blieb Pent, welcher der vorderste war, hinter dem letzten Baum stehen.
    „Was siehst du?“ fragte Onkel Satte laut.
    Ich ging hinter Pent und hatte gerade wie er einen Mann gesehen, welcher links von uns in schnellem Lauf zwischen den Bäumen hervorkam. Als er aber die Stimme des Onkels hörte, eilte er schnell wieder in das Halbdunkel des Waldes zurück.
    „Wer war dies?“ fragte ich leise.
    „Ich habe ihn nicht erkannt, Herr“, antwortete der Alte. „Was hat

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