Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
30 - Auf fremden Pfaden

30 - Auf fremden Pfaden

Titel: 30 - Auf fremden Pfaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
unvorsichtigerweise bereitwillig an die Nase. Er sog den Duft des kräftigen Spiritus mit wachsendem Wohlbehagen ein und bat dann mit verklärtem Gesichte:
    „Gib mir diese Arznei lieber zu trinken, Härra! Ich werde dann schneller gesund werden, als wenn du sie mir auf den Kopf legst.“
    Ich schlug es ihm ab und ließ mir den Fetzen von einem alten Sommerkleid geben. Diesen befeuchtete ich und band ihn auf die Anschwellung. Da ich das Befeuchten nach einiger Zeit wiederholen wollte, so gab ich das Fläschchen nicht wieder in den Reisesack zurück, sondern schob es, mir leicht zur Hand, neben mir in das Heu meines Lagersitzes.
    „Attje, wie bist du in die Spalte gekommen?“ fragte jetzt der junge Neete, der mit dieser Frage der Neugierde aller zu Hilfe kam.
    Der Alte schwieg eine Weile, dann antwortete er:
    „Fragt mich nicht. Später werdet ihr es erfahren!“
    Diesem Befehl mußte Gehorsam geleistet werden, obgleich ich nicht begreifen konnte, warum er die erbetene Auskunft verweigerte, zu der wir uns durch seine Rettung doch wohl eine hinreichende Berechtigung erworben hatten. Er seinerseits begehrte nun zu wissen, wie die Bärenjagd abgelaufen sei und welcher Umstand uns zu seiner Hilfe herbeigerufen habe. Er vernahm unseren Bericht und kaum erfuhr er, daß der Aufbruch des Bären sich noch immer im heißen Wasser des Kessels befinde, so gebot er, die Nipeh (Messer) herzunehmen und das leckere Mahl sogleich zu beginnen.
    Mutter Snjära stach die Eingeweidestücke aus dem Kessel und legte sie in ihren Lederschoß, dessen matter Glanz erraten ließ, was alles darin bereits ab-, auf- und ausgewischt worden sei. Dort wurden sie zerteilt, und männlich, weiblich und – hündlich hatte nun die Erlaubnis, sich wegzunehmen, was ihm beliebte.
    Was mich betraf, so hatte ich das Glück, von der schönen Marja (Maria) bedient zu werden. Sie war die älteste Tochter Pents, zählte vielleicht dreiundzwanzig Jahre und schien mich während meines vierzehntägigen Aufenthalts in ihrer Hütte bereits sehr freundlich in ihr Herz geschlossen zu haben. Sie reichte mir gerade bis unter die Arme, hatte zwei Pfund Fett in ihren Zöpfen und dreißig Quadratzoll Pechsalbe auf ihren Wangen; ihre Lippen lächelten zwölf Zentimeter breit; ihr Näschen glich einer Haselnuß, und ihre Äuglein hatten sich infolge des immerwährenden Schneeblendens ein Spitzmausblinzeln angewöhnt, welches auf mein unbewachtes Herz einen durch Logarithmen nicht ganz genau zu berechnenden Eindruck machte.
    Sie zerzupfte die besten Stückchen, welche sie für mich aus den Zähnen der Hunde erwischen konnte, mit ihren dicken Teer-Rosen-Fingerchen und steckte sie mir in den sich vergeblich ‚nach rückwärts konzentrierenden‘ Mund. Die Eltern sahen dieser gastfreundlichen Schelmerei mit Wohlbehagen zu, und ich konnte mich diesem zutraulichen Ausgestopftwerden nur dadurch entziehen, daß ich mich erhob und für kurze Zeit vor die Hütte ging, um meiner Digestionsorgane wieder Herr zu werden.
    Als ich wieder eintrat, fiel mir ein himmlisches Lächeln auf, welches mit einer Wärme von siebzig Grad Reaumur auf den Gesichtern thronte. Sofort ward ich mir meiner Unvorsichtigkeit bewußt, langte nach meiner Flasche und hielt sie gegen die Flamme – sie war leer, ‚bom bosch‘ würde der Türke sagen – ‚ganz leer‘; die braven Lappen und Lappinnen hatten sich mit meiner Tinktur die Magen von innen eingerieben!
    Ich verspürte große Lust, sie tüchtig auszuzanken, mußte aber dennoch lachen, als der alte Pent seine Entschuldigung vorbrachte:
    „Härra, du wirst doch nicht schelten? Wir haben von dem Bären gegessen und schmeckten es, daß er krank gewesen ist; darum haben wir ein wenig von deiner Medizin genommen, die alle Krankheiten heilt. Für meinen Kopf ist sie nicht mehr nötig, denn der Schmerz ist fort, und ich bin gesund!“
    Ich hielt ihm die leere Flasche hin.
    „Hast du die Medizin genommen, so nimm auch die Flasche. Ich schenke sie dir!“
    Mit diesem Geschenke richtete ich eine große Freude an, denn ein Glas oder eine Flasche ist in der Haushaltung eines Lappen eine kostbare Seltenheit. Darum meinte er sehr fröhlich:
    „Härratjam (‚Mein liebstes Herrchen‘), du bist ein sehr berühmter und gütiger Doktor, und mit dir ist ein großer Segen in meine Hütte gekommen. Du hast uns, als du kamst, drei Flaschen Spanska win (‚Spanischer Wein‘; er meinte aber Rum) mitgebracht, der unser Herz erleichterte, aber deine Medizin schmeckt

Weitere Kostenlose Bücher