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30 - Auf fremden Pfaden

30 - Auf fremden Pfaden

Titel: 30 - Auf fremden Pfaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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die Ebene erreichten. Kakke Keira hatte sich einstweilen den Pelz Andas geborgt.
    Der Besinnungslose wurde auf dem Schlitten befestigt, und dann ging es im sausenden Lauf über die nun bequeme Fläche auf die Hütte zu. Natürlich kam der von dem windesschnellen Rentiere gezogene Schlitten mit Onkel Satte, der ihn führte, eher an als wir, und als wir die Schuhe abgelegt hatten und eintraten, fanden wir Vater Pent bereits am Feuer liegen. Er war noch immer besinnungslos; dennoch aber beschäftigte sich Mutter Snjära unter Assistenz ihrer Töchter sehr eifrig damit, ihm jammernd und wehklagend den gewaltsam aufgebrochenen Mund voll großer Stücke gefrorenen Rentierblutes zu stopfen.
    „Wollt ihr ihn töten!“ rief ich ihnen zu.
    „Das Blut hilft für alles, Härra!“ beteuerte sie mir.
    „Hier schadet es nur! Nehmt es wieder heraus und öffnet ihm die Kleider. Ich habe eine bessere Medizin!“
    Ich hatte in meinem sehr zusammengeschrumpften Reisesack allerdings von Medikamenten weiter nichts als noch ein halbes Fläschchen Arnikatinktur, doch war dies gegen die Verletzung durch einen Fall ja ein ganz gutes Mittel, wenn nicht auch innere Teile gelitten hatten. Die Kleider wurden ihm geöffnet, um die Respiration zu erleichtern, und da Naphtha und Salmiakgeist oder ähnliches nicht vorhanden war, so bat ich um Schnupftabak. Alle erstaunten sehr weidlich darüber, daß ein Toter schnupfen solle, dennoch aber wurden mir gerade so viele aus Rentierhaut gefertigte Dosen entgegengestreckt, als männliche und weibliche Personen anwesend waren. Der Lappe liebt den Tabak außerordentlich, fast ebenso wie den Branntwein; aber da er den letzteren so viel entbehren muß, so raucht und schnupft er viel, und daher gab es hier Dosen genug in der Hütte.
    Ich applizierte dem Betäubten eine ziemliche Prise in denjenigen Teil seines Gesichtes, welchen die Lappen Njuonne (Nase) nennen, und hatte auch wirklich gar nicht lange auf die beabsichtigte Wirkung zu warten; seine spitze Stirn legte sich in Falten, die geschlossenen Augenlider begannen zu zittern, der Mund öffnete sich, zwar langsam, aber so weit wie möglich; die gegen Kälte und allerlei kleines Getier mit Pechsalbe beschmierten Wangen dehnten sich aus, und dann erfolgte jene bekannte Explosion, für welche die Sprachen aller Völker nur eine und dieselbe Bezeichnung haben – app – zieh!
    „Aeitnan – zur Gesundheit!“ ertönte es jubelnd aus aller Munde.
    Der Bann war gebrochen; die Augen öffneten sich, bewegten sich einige Augenblicke staunend im Kreis, und dann erklang auch bereits, und zwar in sehr bestimmten Ton, das erste hörbare Lebenszeichen:
    „Muaji, wattopte malep … gebt mir Blut!“
    Mutter Snjära blickte mich fragend an. Ich nickte ihr zu, denn diesem imperativen Verlangen eines augenblicklich erst vom Tod Erwachten vermochte mein fühlendes Herz nicht zu widerstehen. Da der Inhalt des alten vielleicht nicht reichen würde, so wurde augenblicklich ein neuer Rentiermagen geöffnet und das darin aufbewahrte Blut herausgeschlagen. Dann warf sich die Mutter mit ihren drei Assistentinnen über den Patienten, und er erhielt von vier Seiten den Mund so energisch vollgestopft, daß er fünfmal schlingen mußte, ehe er Zeit fand, einmal Atem zu holen. Die großen Stücke zu Eis gefrorenen Blutes verschwanden so schnell und massenhaft in der Speiseöffnung des armen Kranken, und er verriet eine so ausdauernde Inklination für diese Art, dem Tod zu entgehen, daß es mir angst und bange wurde und ich endlich Einhalt tat. Kaum aber waren seine wiedererwachten Lebensgeister nicht mehr in dieser Richtung beschäftigt, so fuhr er sich mit der Hand an den Kopf und klagte:
    „Mon lep luokatest, mon lep hawetetowum – ich habe Schmerzen, ich bin verwundet worden!“
    Ich untersuchte die Stelle, welche seine Hand bezeichnet hatte, und entdeckte unter der dicken Pelzhaube, welche er trug, eine ziemliche Anschwellung. Er war also doch mit dem Kopfe aufgestoßen.
    „Tunji mon kalkap wekketet … ich werde dir helfen!“ tröstete ich ihn und griff zu meiner Tinktur.
    „Tote lep päsker – du bist ein Doktor?“ fragte er erstaunt.
    „Ja“, antwortete ich, um ihm Vertrauen zu machen.
    „Was hast du hier?“
    „Das ist eine Arznei, welche dir die Schmerzen stillen wird.“
    „Schmeckt sie gut?“
    „Du wirst sie nicht trinken, sondern ich werde sie dir auf den Kopf legen.“
    „Laß sie mich einmal riechen!“
    Ich hielt ihm das geöffnete Fläschchen

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