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306 - Ein Hort des Wissens

306 - Ein Hort des Wissens

Titel: 306 - Ein Hort des Wissens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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da vom Hügel her dem Dorf näherte. Für einen Moment vergaß er sogar die arme Jenny. Meinharts Kolonne schleppte die Grundlage für sein Traumprojekt heran – für den Hort des Wissens , wie Rulfan die geplante Anlage rund um Canduly Castle nennen wollte.
    Er lief die Abraumhalde hinunter. Sein Vater war längst zwischen den Hütten verschwunden. In der Behausung, in der Pieroo und Jenny lebten, stand die Tür offen. Rulfan trat ein.
    Jenny hockte auf ihrem zerwühlten Schlaflager, hatte die Knie angezogen, das Gesicht in den Händen verborgen und schluchzte. Leonard stand breitbeinig vor ihr – in der Linken eine Seilschlinge, in der Rechten ein Messer.
    »Jenny?« Rulfan ging neben ihr in die Hocke. »Was ist geschehen?« Er legte den Arm um ihre Schulter, zog sie an sich und sah seinen Vater an. Der hob nur die Seilschlinge ein wenig hoch.
    Rulfan betrachtete sie aus schmalen Augen, blickte zum Messer in der Hand seines Vaters und sah zum abgeschnittenen Seil am Deckenbalken hinauf. Jetzt begriff er.
    »Jenny, Jenny...« Er seufzte und schlang die Arme um die immer heftiger weinende Frau. Schließlich zog er ihre Stirn an seinen Hals. »Versuch das nie wieder, hörst du? Damit machst du Ann doch auch nicht mehr lebendig.«
    »Ich bin schuld an ihrem Tod«, schluchzte Jenny. »Ich vermisse sie so.« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Ich bin schuld. Wie soll ich das denn jemals wieder gutmachen?«
    »Du hast unter fremdem Einfluss gestanden.« Rulfan strich ihr tröstend über Rücken und Kopf und redete beruhigend auf sie ein. »Und du konntest nicht ahnen, dass Aruula gerade mit einem Schwert auf ihre Beine zielte, als du sie zum Stolpern gebracht hast.«
    Jenny weinte nur noch heftiger. »Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich schuld bin am Tod meiner eigenen Tochter. Das werde ich mir nie verzeihen können...«
    ***
    Varmer trat ein und sah sich um. In seinem breiten, großporigen Gesicht spiegelte sich so etwas wie Ehrfurcht; jedenfalls in seiner Augenpartie – den Rest bedeckte ja ein schwarzes, wild wucherndes Gestrüpp von Barthaaren. Er schien beeindruckt, so viel erkannte Meister Chan. Die prunkvolle Ausstattung der Katakomben und erst recht der Verbotenen Zone diente genau diesem Zweck: fremden Besuchern Ehrfurcht abzunötigen oder wenigstens Erstaunen.
    Meister Chan saß hinter einer Holzwand, die den Raum in zwei Hälften teilte. Er beobachtete Varmer durch ein kleines Sichtgitter. Wie verloren stand der Hüne vor der offenen Eingangstür und drehte sich um sich selbst.
    »Setz dich doch«, sagte Chan.
    Der massige Exekutor fuhr herum. »Tötet leise und schnell!« Reflexartig zischte er die Parole der Exekutoren. Seine braunen Augen weiteten sich kurz und er heftete seinen plötzlich starren Blick auf das feine Gitterrechteck in der Holzwand, hinter der Meister Chan saß.
    »Wen Bruder Zing bis zu mir durchlässt, der braucht keine Parole mehr«, sagte Chan. »Der hat seine Zugehörigkeit zu uns und seine Qualitäten längst auf überzeugendere Weise bewiesen.«
    Schnell überwand Varmer sein Erschrecken, kniff die Lippen zusammen und ließ sich auf einen der beiden Stühle hinter dem runden Tisch fallen. Doch sofort rutschte er nach vorn auf die Sitzkante, weil man mit einem Schwert auf dem Rücken schlecht in einem Stuhl sitzen konnte.
    Es war Mitte März inzwischen, und Alastar, der Chefexekutor, war noch immer nicht nach Glesgo zurückgekehrt. Von dem Albino aus Salisbury, in den Chan so große Hoffnungen gesetzt hatte, ganz zu schweigen.
    Varmer richtete seinen hochkonzentrierten Blick noch immer auf das Sichtgitter, das in Augenhöhe der Holzwand eingelassen war; in Augenhöhe für jemanden, der saß. In der gepolsterten Zelle dahinter hockte Meister Chan im Lotussitz auf einem Sitzkissen. Er beobachtete, wie Varmer noch einmal aufsprang, weil gemerkt hatte, wie ungünstig man mit einer Langklinge auf dem Rücken und einem Gewehr an der Schulter saß. »Wenn du die Güte hättest, die Tür zu schließen«, sagte Chan.
    Varmer starrte kurz das Sprechgitter an, fuhr dann herum und warf die Tür zu. Danach zog er die Klinge, lehnte sie gegen die Türklinke und nahm das Gewehr von der Schulter. Er setzte sich wieder und legte die Waffe auf seine Schenkel. Geräuschvoll zog er den Rotz hoch, fuhr sich über den Bart und schluckte ein paarmal.
    Gewöhnlich kam niemand in die Verbotene Zone der Katakomben von Eibrex herab, ohne dass Bruder Zings Garde ihm die Waffen abnahm. Manchmal machte

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