311 - Der Weg des Bösen
vier anderen sahen ihn verdutzt an. Er hob leicht die Schultern und gestand: »Also, irgendwie bedrückt er mich. Ich möchte gut gelaunt sein, aber es gelingt mir nicht so recht, und das liegt nicht nur an Ella. Seit ich in den Himmel geschaut habe, beschleicht mich das Gefühl, als würde ich von dort ... beobachtet . Und als würde mich etwas mit einem sehr kalten Hauch streifen.«
Darauf folgte Schweigen. George hatte allerdings nicht das Gefühl, dass seine Freunde seinetwegen verlegen waren. Erstaunlicherweise rückte Lauren, nicht Lamiri, als Erste heraus. »Das ist aber komisch. Mir geht es ganz genauso, George.«
Das Bedenkliche dabei war, dass George und Lauren nahezu nie einer Meinung waren, und dass die selbstbewusste Lauren ziemlich kleinlaut dabei wirkte.
Weil sie den Mut gehabt hatte, gaben auch die anderen zu, dass sie merkwürdige Empfindungen hatten, die bis zu geistesblitzartigen Bildern reichten, die unmotiviert vor ihrem inneren Auge tanzten. Nur ganz kurz, vielleicht einen Lidschlag lang, und sie hätten nicht beschreiben können, was sie sahen. Aber die Empfindungen hingen lange nach – Angst und Schrecken .
Baxter sprach als Erster eine Vermutung aus. »Denkt ihr, das hängt mit dem Verschwinden des Neptun zusammen? Irgendeine davon ausgelöste schädliche Strahlung, die uns aufs Gemüt schlägt?«
»Ach was«, wiegelte Marten ab. »Das ist eine sehr weit hergeholte Verschwörungstheorie. Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass an diesen Gerüchten etwas dran ist? Ein Planet verschwindet doch nicht einfach so!«
»Es heißt, dass sich die Waldleute deswegen alle zurückgezogen haben«, sprang Lauren für ihren Partner in die Bresche. »Sie bereiten sich auf das Chaos vor, das kommen wird.«
Marten war immer noch nicht überzeugt. »Wilde Untergangsszenarien gibt es schon seit den Gründertagen. Auch bei dem Superbeben hieß es, das wäre das Ende. Und jetzt schaut uns an!«
»Ja, wir stehen unter der Fuchtel eines Militärpräsidenten, der seit dem Anschlag auf seine Frau Sandkörner im Getriebe hat und sich wie ein Despot aufführt«, bemerkte Lamiri völlig ernst, ohne spöttischen Unterton. »Unsere Gesellschaft ist durch diese Tat in den Grundfesten erschüttert und droht zu zerbrechen, nicht nur politisch, sondern auch insgesamt. Das Ende der Demokratie ist das deutlichste Zeichen.«
George wiegte den Kopf. »Das ist doch nur eine vorübergehende Erscheinung, wie schon einmal, zur Zeit des Superbebens. Leto Angelis ist ein sehr verantwortungsbewusster Mann und...«
»...deswegen hat er in den vergangenen Jahren auch einen Geheimdienst aufgebaut, von dem niemand außer seinen Mitgliedern auch nur die geringste Ahnung hatte«, vollendete Lamiri den Satz. »Wach auf, George! Unsere angespannte Stimmung, die schrecklichen Bilder, die wir sehen, und der Eindruck, dass der Himmel sich verdüstert, rührt genau daher: Wir wissen, dass unser gewohntes Leben in Trümmern liegt. Es wird nie wieder so sein wie vor dem Anschlag. Und vor allem: Das ist erst der Anfang.«
Lauren sah sich vorsichtig um. »Lamiri, du solltest aufpassen«, murmelte sie. »Es sind schon welche wegen harmloserer Bemerkungen verschwunden...«
Lamiri hob die Hände in einer »Seht ihr?«-Geste und lehnte sich zurück.
»Es ist alles verrückt geworden«, fasste George zusammen und machte sich über seine Mahlzeit her. Genug der Schwermut! Mochte morgen die Welt untergehen, heute wurde gefeiert, wenigstens bis dreiundzwanzig Uhr.
***
Schweißgebadet fuhr Afra aus dem Schlaf hoch, kurz vor der Weckzeit. Sie zitterte am ganzen Körper und schlang die Arme um sich selbst. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals so schreckliche Alpträume gehabt zu haben, und das Schlimmste daran: Sie hatte sich nicht selbst daraus aufwecken und entkommen können. Sie hätte fast nicht mehr daran geglaubt, dass diese Nacht jemals vorüberging.
Schluchzend wiegte sie sich vor und zurück und hatte bereits jetzt Furcht vor der kommenden Nacht. Dabei hätte sie nicht einmal beschreiben können, was genau sie geträumt hatte. Es waren weniger Bilder als vielmehr ...Gefühle gewesen. Dunkelheit, in der ein unbeschreibliches Grauen lauerte, das Entsetzliches plante, auch das hatte sie gespürt. Es stellte die personifizierte Angst und Hoffnungslosigkeit dar.
Afra hatte den Eindruck, dass sämtliche positive Empfindungen wie Freude, Optimismus oder Humor in ihr abgestorben waren. Bohrender Kopfschmerz quälte sie, als würde ein
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