312 - Die dunkelste Stunde
nicht besser als ich, Dace!«
Leda Raya wich einen Schritt zurück. »Was redest du da? Ich bin nicht Dace Melody! Die steckt in einer Zelle.«
»Das ist es, was du mich glauben machen willst. Aber ich habe dich durchschaut! Du hast Leda umgebracht und bist in ihre Haut geschlüpft.« Er lachte. »Denkst du, ich habe das nicht bemerkt? Für wie dumm hältst du mich?«
Der Orter hob erneut die Strebe und stürzte auf sie zu.
»Valdis! Nein!«
Er hörte nicht auf sie. Doch er war in seiner Bewegung so ungestüm, dass er mit dem Fuß an einer Kante hängenblieb. Er stolperte, fiel zwischen eine Konsole und den davor stehenden Sessel, stieß ein Gurgeln aus und blieb schließlich ruhig liegen.
»Valdis?« Leda Raya ging langsam auf den Körper zu. War das nur ein Trick?
Nein, der Orter rührte sich wirklich nicht mehr. Unter dem Sessel bildete sich eine Blutlache. Als die Pilotin sich nach ihm bückte, erkannte sie auch, warum. Beim Sturz hatte sich Valdis die Strebe in den Hals gestoßen.
Sie war allein auf der Brücke. Also stellte sie sich auf den Platz, den sonst der Kommandant einnahm, und beobachtete den Streiter vor der Sonne.
Das Wesen mit dem Gesicht ihres Vaters.
Schon wieder ein Mann, der sich von deinem Äußeren nicht hat blenden lassen, sagte er.
»Sag das nicht. Bitte nicht.«
Warum nicht? Es ist die Wahrheit! Hinter deiner schönen Fassade steckt ein abgrundtief hässliches Wesen. Eine Mörderin!
»Das ist nicht wahr!«
Du hast deine Mutter umgebracht.
»Sie ist bei meiner Geburt gestorben. Das ist etwas anderes!«
Für mich nicht. Die Stunde, in der du zur Welt kamst, ist die dunkelste meines Lebens. Ich hasse dich!
Leda Raya schluchzte. Tränen liefen ihr über die Wangen. Ihr Vater lebte seit drei Jahren nicht mehr und doch sah sie ihn nun wieder vor sich. Dort, vor der Sonne.
All die Kälte, die er sie stets hatte spüren lassen, hüllte sie erneut ein. Die Zähne, die ihr Dace Melody bei ihrem Angriff nicht ausgeschlagen hatte, klapperten unkontrolliert.
Sie hatte Angst. Sie fror. Sie sehnte sich nach Liebe und Wärme. Aber die würde sie nie erfahren.
Ihr Vater rächte sich an ihr. Sie hatte ihm seine dunkelste Stunde bereitet, nun tat er das Gleiche für sie. Indem er sich vor die Sonne schob und seine Tochter verspottete.
Dort verharrte er nicht für ewig. Doch selbst als er wegzog und das Licht zurückkehren ließ, war Leda Raya erfüllt von dieser schrecklichen Kälte.
Sie fasste einen Entschluss. Mit einem letzten Schluchzen verließ sie den Platz des Kommandanten und ließ sich in den Pilotensessel sinken. Dann setzte sie einen neuen Kurs.
Dorthin, wo sie Wärme und Licht empfangen konnte.
Zur Sonne.
Als der Streiter weiterzog und den Schatten von der AKINA nahm, fiel Licht in die Kabine des Kommandanten. Es erhellte die Bilder an der Wand, aber auch die blutigen Kratzspuren neben den Löchern in der Verkleidung.
Kabelstränge hingen daraus hervor, die meisten intakt, einer jedoch zerfetzt. Einem Techniker wäre womöglich aufgefallen, dass ein Kabel in diesem Strang fehlte. Ein goldfarbenes von der Dicke eines Fingers.
Es befand sich noch immer in der Kommandantenkabine, allerdings auf der anderen Seite. Sein eines Ende war um die Streben eines Lüftungsgitters geknotet. Am anderen hing die Leiche von Asgan Pourt Tsuyoshi in einer Schlinge. Von seinen Fingerspitzen tropfte Blut.
Niemand sollte jemals mehr erfahren, was er im Streiter gesehen hatte.
Dexter Wang saß wieder auf dem Bett in seiner Kabine. Der rechte Fuß wippte ohne Unterlass hin und her.
Neben sich auf der Matratze lagen zwei geöffnete Pillendosen. In der aus der Beintasche befanden sich gerade mal noch vier Tabletten. Die aus den Tiefen seiner Reisetasche, die mit dem Schlafmittel, war noch voll.
Noch!
Er wurde einfach das Bild nicht mehr los, das er gesehen hatte. Die wahre Gestalt des Streiters vor der Sonne.
Es war das Gesicht eines Monstrums. Mit langen, gebogenen Reißzähnen und feurigen Augen, aus denen das Böse strahlte.
Er hatte es immer gewusst! Das war der Grund, warum er nicht wollte, dass Vater ins All flog. Dass er selbst den Weltraum verabscheute. Die Monster in der Dunkelheit der Schatten – es gab sie wirklich.
Diese Fratze, diese abscheuliche, widerwärtige, boshafte Fratze hatte sich in sein Bewusstsein eingebrannt. Und er würde sie nicht mehr vergessen, solange er lebte.
Solange er lebte...
Der Fuß wippte auf und ab. Wippte, wippte und wippte.
Doch plötzlich
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