319 - Paris - verbotene Stadt
bereiteten Tausende Menschen den Koloss auf seinen Start vor; und Tausende strebten über Rampen den Eingangsluken entgegen.
Von der Rampe aus, auf der Smythe neben seiner Frau und an der Spitze seiner großen Familie einem offenen Schott unterhalb des Schiffsäquators entgegenschritt, beobachtete er zahllose Chinesen in Raumanzügen am Fuß des Schiffes. Sie bestiegen es über kleine Luken rund um die untere Polsäule. Aus irgendeinem Grund beunruhigte ihn diese Beobachtung.
»Ich habe Angst«, sagte seine Frau neben ihm.
»Es wäre anormal, wenn du keine Angst hättest.« In der linken Manteltasche hatte er die Faust um ein Amulett mit dem Bild seiner Mutter geschlossen. Den rechten Arm legte er um seine Frau und blickte zurück: Hunderte von Fremden waren seiner Familie auf die Rampe gefolgt; auch das beunruhigte ihn. »Jede bevorstehende Veränderung, jeder Neuanfang ängstigt uns. Unser Nervensystem ist quasi in erhöhter Alarmbereitschaft.«
»Ich kriege kaum Luft vor lauter Angst«, unterbrach ihn seine Frau. Sie begann in ihrem Handgepäck zu kramen.
»Du hast die Verladung unserer Vorräte an Eternal-Forte-Special persönlich kontrolliert?« Zum dritten Mal stellte er diese Frage. Das Unsterblichkeitspräparat sollte einer der wichtigsten Bausteine seiner Macht werden – seiner Macht über das Generationenraumschiff und seiner Macht auf dem Planeten, auf dem er eine menschliche Kolonie gründen würde.
»Immer fragst du dasselbe...«, sagte seine Frau mit weinerlicher Stimme. »Wo hab ich denn bloß mein Beruhigungsmittel?«
Sie erreichten das Ende der Rampe und traten in eine große Schleuse. Eine Handvoll Chinesen dirigierten sie zu einer von zahlreichen Luken. Durch die gelangten sie zu einem Gravischacht; dessen Ausstieg direkt in einen unübersehbaren Großraum führte, röhrenförmig und mit mindestens zwanzig Etagen.
Irritiert blickte Smythe sich um, während seine Kinder und Kindeskinder samt ihrer Familien aus dem Schacht stiegen. Tausende drängten sich hier auf Wendeltreppen, Kunststoffbänken und auf den Gängen zwischen den Bankreihen. Die Enge setzte ihm zu, die schlechte Luft sowieso.
Ein Dutzend Uniformierte umringten ihn plötzlich. »Smythe und Sippe?«, fragte ein Offizier.
Bevor der ehemalige Biggest Daddy der ehemaligen Amerikanisch-Pazifischen Union seiner Wut über die respektlose Anrede Luft machen konnte, hatte seine Frau schon bestätigt. »Folgen Sie uns«, schnarrte der Offizier, drehte sich um und marschierte mitten hinein ins Menschengedränge. Mit rüden Befehlen, Faustschlägen und Kolbenstößen machten seine Soldaten ihm und den Neuankömmlingen Platz auf den Gängen zwischen den Bankreihen.
Vor der ersten Reihe eines Blocks aus vielleicht vierzig sperrigen Kunststoffbänken blieb der Offizier stehen. »Setzen und anschnallen. Wir starten in zirka dreißig Minuten.«
Smythes Frau riss Augen und Mund auf. »Hier?« Sie fing an, laut zu weinen.
»Das muss wohl eine Verwechslung sein«, sagte Smythe spitzlippig. »Ich und meine Familie residieren in einer Suite.«
»Gewiss.« Der Offizier musterte ihn mit ausdrucksloser Miene. Plötzlich merkte Smythe, dass der Mann noch kein einziges Mal gelächelt hatte. Überhaupt: Niemand hier lächelte! »Sobald die Wasseraufbereitung in Ihrer Suite repariert ist, können Sie umziehen.«
Der Chinese wandte sich ab und ließ ihn stehen. Widerwillig setzte sich Smythe. Ein paar Urenkel stritten sich um die Plätze in seiner Nähe. Smythe war nun wirklich stark beunruhigt. Er zog die linke Faust aus der Tasche und öffnete sie. Das Porträt einer sommersprossigen Blondine lächelte ihn an. Jenny-Mom... Ihr liebenswerter Gesichtsausdruck beruhigte ihn ein wenig. Doch nicht lange.
»Wo ist unser Gepäck?«, jammerte seine Frau. »Um Himmel willen – unser Gepäck ist weg!«
Smythe sah zurück. Keine Spur von all den Koffern und Kisten, nirgends. »Man wird es bereits in die Suite gebracht haben«, sagte er und glaubte es selbst nicht.
Sein Mund wurde trocken, das Herz schlug ihm hoch im Hals, sein Blick flog über die vielen Menschen auf den sperrigen Sitzbänken. Gut zweitausend Passagiere drängten sich in dieser Etage des röhrenförmigen Großraums zusammen. Wenn er die Anzahl der Etagen und ihre Ausdehnung richtig einschätzte, mussten sich an die dreißigtausend Menschen im Zentrum des Generationenraumschiffs aufhalten.
Smythe machte sich die Mühe, einzelne Gestalten und Gesichter genauer zu betrachten. Zuerst fiel
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