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331 - Verschollen in der Zeit

331 - Verschollen in der Zeit

Titel: 331 - Verschollen in der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Weinland
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Mühe vermeide ich einen Sturz.
    Dort, in der lanzenförmig ausgerichteten Baumkrone – sie ist erstaunlicherweise noch voller Blätter, als wären diese mit den Zweigen verschweißt – flirrt etwas, an dem sich das Sonnenlicht bricht. Für einen Moment erscheint etwas wie ein Tentakel. Dann zuckt es zurück.
    Ich wende mich ab, der einstigen Pyramide zu. Was immer im Baum sitzen mag, es ist mir keine Hilfe, eher eine Gefahr.
    Ein bitteres Lachen kitzelt meine Kehle. Muss denn ein sicherer Todeskandidat noch etwas fürchten?
    Da ist wieder die Ambivalenz, mit der ich mich einerseits in mein Schicksal ergeben will, auf der anderen Seite aber fast schon kopflos um die letzte, die allerletzte Chance ringe.
    Kraftlos setze ich den Fuß auf die erste Stufe der jetzt gewendelten Treppe.
    Hinter mir surrt etwas.
    Ich drehe meinen Kopf wie ein Greis, der kaum noch dazu in der Lage ist, und blicke über meine Schulter. Und pralle zurück, als ich sehe, was das Sirren verursacht.
    Ein eigentümliches Geschöpf saust auf mich zu. Es wirkt wie falsch zusammengesetzt: ein langgezogenes Reptil mit Flügeln! Ich drehe mich halb und hebe die Arme zum Schutz. Zu spät. Das Biest ist schon heran – und beißt zu.
    Ich spüre regelrecht, wie sich aus den Zahnkanülen etwas in meinen Körper ergießt.
    Gift?!
    Alles... wird taub.
    Was für eine verrückte Art zu sterben!
    ***
    Sechs Jahre später
    Herbst 2527, bei Campeche
    Das stählerne Korsett war Gefängnis und Beistand in einem. Ohne es war er nahezu hilflos, doch sobald er sich darin fixierte, konnte er all die Unzulänglichkeiten ausblenden, die das Dasein zur Tortur machten.
    Er hustete. Die Erschütterungen pflanzten sich durch das sensible Geflecht von künstlichen Nerven fort, über die er mit seinem Exoskelett verbunden war und es steuerte. Das Husten war ein Tick, der auftrat, sobald er in Hektik verfiel – und das war immer dann der Fall, wenn etwas Außerplanmäßiges passierte.
    Aus den Ohrstöpseln klang die Stimme von AV-01, seinem verlängerten Arm, der seit dem Aufbruch der Schwärmer alle fünfzehn Minuten einen Statusbericht abgab. Dieser Roboter war ein Prototyp; der Erste, in dessen künstlichem Gehirn zwei Prozessoren arbeiteten – ein elektronischer und ein semibiologischer aus dem zeitlosen Raum.
    Die Konstruktion war notwendig geworden, als nicht lange nach seiner Ankunft in dieser Welt und Zeit alle elektrischen Ströme versiegt waren – und es lange blieben. Dank seiner Abschirmung und des semibiologischen Prozessors – auch neurokinetisches Modul genannt – war AV-01 in der Lage gewesen, trotz des anhaltenden EMPs zu operieren.
    Inzwischen war der EMP, dessen Ursprung er nie hatte ergründen können, lange versiegt und hatte den Bau weiterer Roboter möglich gemacht.
    »AV-01 meldet dem Großen Herrn, dass die Störung immer noch nicht behoben werden konnte. Ein Defekt des Kameramoduls, den die Selbstreparatur nicht beheben kann. Soll die Mission abgebrochen werden?«
    »Gebe er Uns seine aktuelle Position durch!«
    Auch dies war einer seiner Ticks, wenn auch ein gewollter: Gegenüber seinen metallischen Dienern benutzte er den Pluralis Majestatis , um das Gefühl der Überlegenheit auszukosten. Eine spontane Idee damals, die sich in der Kommunikation etabliert hatte.
    »Kurz vor dem Dorf, Großer Herr«, kam die Antwort per Funk. »Keine Anzeichen, dass die Einheit bemerkt wurde. Die Primitiven sind arglos.«
    Er überlegte nicht lange. »Wir vertrauen auf seine Erfahrung und sein Geschick. Enttäusche er Uns nicht. Unternehmen abwickeln wie besprochen. Wiederholen.«
    »AV-01 wiederholt den Befehl des Großen Herrn: Schneller Vorstoß, Zugriff, Abzug«, schnarrte AV-01, der die Schwärmer anführte.
    »Die Audio-Verbindung bleibt offen. Halte er Uns auf dem Laufenden.«
    Er bewegte sich in seinem Exoskelett zum Nordfenster des Towers. Hier hatte er einen unverstellten Blick auf das Monument seines Lebens. Auf das, was seinem Leben überhaupt noch einen Sinn gab. Aber es war nicht das erste Mal, dass er mit Bestürzung feststellen musste, wie sehr verblasst so manche Erinnerung war, die er in seinem Gedächtnis verwahrte.
    Die Stimme von AV-01 riss ihn aus seinen Gedanken. »AV-01 an den Großen Herrn. Dorf nun in Sichtweite. Orientierungsphase läuft.« Nach einer kurzen Pause fügte der Prototyp hinzu: »Problem erkannt.«
    »Problem?«, echote er. Er kehrte dem Ausblick den Rücken und ging zu der Konsole hinüber, auf deren Monitor er das

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