35 - Sendador 02 - In den Kordilleren
zu. „Sie brechen ein!“
Er hörte nicht auf mich und rannte weiter. Ich wollte sein Leben erhalten; mochte er mir immerhin entkommen; darum rief ich noch lauter:
„Nach rechts, wo das Salz weiß ist! Das dunkle hält Sie nicht. Um Gottes willen, Sie sind verloren!“
Jetzt gehorchte er und hielt sich weiter rechts; ich kam ihm schneller näher, denn er war ermüdet und hatte keinen Atem mehr. Noch dreißig, noch zwanzig Schritte – er bemerkte es und hielt sich wieder links. In solchen Augenblicken handelt der Mensch mit der Schnelligkeit des Blitzes. Nach der Rettung des Sendadors hatten wir die Lassos wieder voneinander gelöst, und ich hatte das meinige, wie gewöhnlich, von der einen Schulter nach der anderen Hüfte gerollt, so daß ich es nur über den Kopf hinweg abzunehmen brauchte. Ich schwang es los, hakte den Ring des einen Endes an den Sattelknopf, wand das andere Ende zur Schlinge, nahm mit der Linken die Zügel fest, hob mich in den Steigbügeln empor und schwang mit der Rechten den Riemen im Kreis hoch über dem Kopf. Der Flüchtling brach mit einem Fuß ein, gewann für kurze Zeit wieder Boden; ich durfte keinen Schritt weiter, denn nur eine kurze Strecke vor mir verlor das Salz die helle Farbe; der Lasso flog durch die Luft; die Schlinge faßte den Mann; in demselben Augenblick brach er ein. Hätte ich, wie man es auf festem Boden stets tut, scharf wenden und den Riemen anziehen können, so wäre er nicht untergesunken; aber das hätte mir und dem Pferd das Leben gekostet, denn bei einer solchen Wendung auf den Hinterhufen hätten wir uns augenblicklich durch die hier schon weiche Kruste gebohrt. Ich mußte einen, wenn auch kurzen Bogen reiten; dann spannte sich der Riemen an. Das Pferd zog, vergeblich; das Salz hielt den Mann fest; das Pferd zog abermals und fuhr mit einem Hinterhuf durch das Salz. Ich trieb es augenblicklich durch einen Druck des Schenkels zur Seite und riß das Messer aus dem Gürtel; ich mußte das Lasso durchschneiden, um nicht selbst zu verderben. Vorher aber wagte ich das Äußerste; ich gab dem Tier die Sporen, daß ich später das Blut an den Rändern kleben sah. Das Pferd zog nicht an, sondern es sprang förmlich an – Gott sei Dank, es schoß vorwärts, und der Lasso war fester als die Salzkruste, unter welche der Flüchtling geraten war; er wurde empor- und mit fortgerissen.
Nun durfte ich nicht etwa halten bleiben, um den Mann aufzunehmen. O nein, das wäre mein Untergang gewesen. Ich mußte fort, zurück, und durfte keinen Augenblick halten bleiben. Ich zog ihn am Riemen hinter mir her, ritt aber so langsam wie möglich, um ihn nicht tot zu schleifen, und nahm dabei den Lasso Hand für Hand zu mir ein, so daß der Sohn des Sendador mir immer näher kam. Der Lasso wurde kürzer und kürzer, und es war auch Zeit dazu, da ich den an demselben Hängenden unmöglich über die harten, scharfkantigen Uferschollen schleifen durfte. Noch hatte ich dieselben nicht erreicht, so hing er neben dem Pferd. Ein Griff, ein Schwung, der mich fast aus dem Sattel gerissen hätte, und der Mann lag quer vor mir und war in Sicherheit. Nun noch über die offene Wasserstelle zurück; dann von Scholle zu Scholle an das Ufer. Dort hielten der Bruder und Pena, auch Turnerstick, welche mir nachgeritten waren; sie nahmen mir den Mann ab, und ich stieg von dem Pferd, welches laut schnaubte und am ganzen Körper zitterte; es hatte die Gefahr empfunden, in welcher wir uns befunden hatten.
Während das Erzählte sich abspielte, hatte ich meine Aufmerksamkeit, wenn auch nur für Momente, auch auf anderes richten müssen. Als ich den Lasso warf und der Mann einbrach, ertönte von oben herab ein Schrei, welcher kaum menschlich genannt werden konnte. Den erwähnten Bogen reitend, blickte ich hinauf auf die Felsenplatte und sah die Chiriguanos und Tobas stehen, welche meinen Ritt mit Blicken verfolgten. Ganz vorn, beinahe an der Kante aber stand, hoch aufgerichtet und mit angstvoll emporgehobenen Armen, der Sendador, der kurz vorher noch so schwach gewesen war, daß er sich kaum hatte sitzend aufrichten können. Die Vaterliebe verlieh ihm die Kraft, sich trotz der Fesseln aufrecht zu halten. Und als ich nun vom Pferd gestiegen war und nach oben blickte, sah ich ihn noch ebenso dastehen.
Sein Sohn sah schrecklich aus. Das Wasser hatte ihn nicht hergeben wollen. Bei dem Ruck, mit welchem ich ihn herausgerissen hatte, war sein Gesicht zerschunden und ein Teil seines Anzuges zerfetzt worden. Durch
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