35 - Sendador 02 - In den Kordilleren
ERSTES KAPITEL
Im Gran Chaco
Die Stadt Palmar liegt in der Provinz Corrientes, dem Argentinischen Mesopotamien, und zwar an dem Fluß, welcher denselben Namen wie die Provinz selbst führt. Sie ist nicht groß, treibt aber einen bedeutenden Handel, wenigstens nach den dortigen Verhältnissen bedeutend, denn trotz der außerordentlichen Fruchtbarkeit von Corrientes liefert der Ackerbau nur den heimischen Bedarf; die Industrie ist nicht nennenswert, und die Ausfuhr besteht nur aus den Produkten des Waldes und der Herden.
Zu der Zeit, als wir uns diesem Städtchen mit unseren Gefangenen von Süden her näherten, bildete es den Ausgangspunkt aller von Norden her gegen den aufständischen Lopez Jordan gerichteten militärischen Unternehmungen. Da gab es Soldaten aller Art, über deren Aussehen ein deutscher Landwehrmann den Kopf geschüttelt hätte. Doch machten sie immerhin einen bessern Eindruck als diejenigen, welche ich bei Jordan gesehen hatte. Als wir ankamen, sahen wir sie rechts und links vom Weg exerzieren.
Das Städtchen liegt nicht direkt am Fluß, sondern es wird durch Moräste von ihm getrennt, welche man durch Schilfdämme wegbar gemacht hatte. Der Oberst hieß uns im Galopp bis auf die Plaza reiten und vor der Casa de Ayuntamiento, dem Rathaus, halten, welches einem Lüneburger Heidehof ähnlicher sah als dem Sitz einer städtischen Behörde.
Dort stellte er sich dem Platzkommandanten vor, wobei der Bruder und ich ihn begleiten mußten, um ihn bei der Erzählung des Vorgefallenen zu unterstützen. Der Erfolg dieses Berichtes war, daß die Offiziere der Aufständischen im Stadthaus eingeschlossen und ihre Soldaten in mehrere Corrals gesperrt wurden, um später abgeurteilt zu werden. Uns aber lud der Herr, einschließlich aller meiner Begleiter, zum Essen ein.
Die ohne einen einzigen Schuß oder Schwertstreich erfolgte Gefangennahme der an Zahl so überlegenen Gegner und die Erbeutung so vieler Pferde, an welchen großer Mangel war, galt natürlich für eine vielverheißende Einleitung der kriegerischen Tätigkeit des Obersten. Und da er diesen Erfolg uns zu verdanken hatte, so erging er sich in den zartesten Aufmerksamkeiten gegen uns. Er forderte uns auf, möglichst lange in Palmar zu bleiben, und versprach, uns den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen und uns dann mit allem für unsere Weiterreise Nötigen reichlich zu versorgen. Sein Erstes war, uns ein möglichst gutes Quartier anzuweisen. Wir fanden dasselbe in dem Haus eines reichen Handelsherrn, welcher sich mit der Ausfuhr von Landesprodukten beschäftigte. Bei ihm wurden wir sehr freundlich aufgenommen und teils in zwei Gaststuben, teils in einem für die Dienerschaft bestimmten Nebengebäude untergebracht.
Was mich betraf, so zog ich es vor, mich sofort schlafen zu legen, nachdem ich mich überzeugt hatte, daß mein Pferd sich in guter Pflege befand. Die Stadt bot gar nichts Sehenswertes, und nach den gehabten Anstrengungen war eine ausgiebige Ruhe das allernötigste für uns.
Der Frater, Turnerstick und sein Steuermann legten sich auch schlafen. Die anderen zogen es vor, sich in der Stadt zu vergnügen. Dies war auch der Fall mit Gomez, dem Indianer, dessen Mutter durch das unfreiwillige Bad im Paraná ganz nachhaltig wiederhergestellt zu sein schien. Sie waren gegangen, um sich mit ihren Stammesgenossen zu unterhalten, welche in der Stadt lebten oder auch in das hier befindliche Militär getreten waren. Gomez gehörte zu dem Stamm der Aripones, welche ihren hauptsächlichsten Aufenthalt zwischen dem Rio Salado und Rio Vermejo haben und infolgedessen die besten Kenner des geheimnisvollen Gran Chaco sind.
Als es längst dunkler Abend war, kam er, mich zu wecken. Er entschuldigte das damit, daß er Abschied nehmen müsse, weil er Ursache habe, Palmar sofort zu verlassen. Als ich ihn nach dem Grund fragte, antwortete er:
„Ich muß sofort in meine Heimat gehen, da die Meinigen sich in Gefahr befinden, aus ihren Wohnsitzen verdrängt zu werden. Ich habe sie zu warnen.“
„Wo befinden sich diese Wohnsitze?“
„Jenseits des Paraná, zwischen dem Rio Salado und dem oberen Lauf des Rio Vivoras.“
„Gibt es dort nicht eine Reihe verlassener Ansiedlungen?“
„Ja. Es waren vor langer, langer Zeit Weiße eingewandert, welche sich aber nicht halten konnten – der – der Indianer wegen, die sich feindlich gegen sie verhielten. Die Weißen haben fortgemußt, und ihre Häuser sind zerfallen. Jetzt kommen abermals welche, um uns
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