36 - Das Vermächtnis des Inka
wird.“
„Alle werden sich an ihn wagen, alle; das versichere ich Ihnen!“
„Wollen sehen. So ein Bison ist, wenn er gereizt wird, ein gefährliches Tier.“
„Woher wissen Sie das denn?“
„Vom Vater Jaguar, welcher Hunderte erschossen hat.“
„Auf der Pampa etwa?“ lachte Perillo.
„Nein, sondern in den Prärien von Nordamerika, wo er früher gejagt hat.“
„Auch dort ist er gewesen? So ist er also kein Porteño, sondern ein Fremder? Das ist ein Umstand, der mir freilich nicht zu imponieren vermag.“
„Nicht? Nun, was das betrifft, so glaube ich nicht, daß der Vater Jaguar viel danach fragt, ob er Ihnen imponiert oder nicht.“
„Weil er mich nicht kennt. Würde er aber meinen Namen erfahren, so würde er es wohl für eine Ehre halten, mir die Hand drücken zu können.“
„So? Wie lautet denn dieser Ihr berühmter Name?“
„Perillo.“
„Ah! Sind Sie etwa Antonio Perillo, der Espada, welcher morgen mit auftreten wird?“
„Der bin ich allerdings.“
Er sah den Alten mit einem Blick an, aus welchem zu ersehen war, daß er erwartete, jetzt eine ehrerbietige Lobeserhebung zu hören. Aber die Worte, welche er zu hören bekam, waren ganz andere, nämlich: „So sagen Sie mir einmal, Señor, warum Sie mit den Stieren kämpfen!“
„Um sie zu töten natürlich.“
„Und warum töten Sie dieselben?“
„Welch eine Frage! Wir erstechen sie, um unsere Kunst zu zeigen.“
„Eine schöne Kunst! Es ist nicht etwa ein Heldenstück, einen vorher matt gehetzten Ochsen zu erstechen. Ich töte ein Tier, weil ich das Fleisch desselben brauche, um leben zu können; aber es um einer so fadenscheinigen Ehre willen erstechen, das ist Mord. Und wenn man es gar vorher mit Stichen quält und halb zu Tode hetzt, das ist Schinderei. Sie sollten sich also nicht einen Espada, sondern viel richtiger einen Desollador (Schinder) nennen.“
Da fuhr Perillo, wie von einer Feder geschnellt, von seinem Stuhl auf. Er wollte auf den Alten eindringen. Glücklicherweise wurde gerade in diesem Augenblick die Tür geöffnet, und sein Verbündeter trat ein. Er besann sich eines anderen, setzte sich wieder nieder und warf dem Alten nur die Worte hin: „Sie wollen sich an mir reiben, können mich aber nicht beleidigen, weil Sie so tief unter mir stehen, daß es Ihnen unmöglich ist, zu mir aufzusehen.“
„Gerade so sagte die Fliege zum Löwen, als sie über ihm summte. Da aber kam ein Vogel und verschluckte sie.“
Perillo tat so, als ob er diese Worte nicht höre. Sein Kamerad setzte sich zu ihm und flüsterte ihm zu: „Schon wieder Streit? Nimm dich in acht! Unser stilles Handwerk erfordert Vorsicht. Zehn Freunde können uns nicht so viel nützen, wie ein einziger Feind uns zu schaden vermag.“
„Schweig! Dieser alte Schwätzer kann uns gar nicht schaden. Sag mir lieber, was du erfahren hast!“
Sie sprachen natürlich so leise miteinander, daß sie von den übrigen Gästen nicht gehört werden konnten. Trotzdem blickte der andere sich vorsichtig um, und als er sah, daß jetzt niemand auf sie achtete, sagte er: „Er ist's wirklich, ganz gewiß. Und wenn ich noch darüber im Zweifel gewesen wäre, hätte derselbe schwinden müssen, als ich sah, bei wem er wohnt.“
„Nun, wo?“
„Bei Salido, dem Bankier.“
„Todos demonios! Bei Salido? Wer hätte das geahnt! Das ist ja ganz und gar gefährlich für uns!“
„Leider! Er wird ihm alles erzählen.“
„Natürlich! Aus welchem anderen Grunde könnte er gerade ihn aufgesucht haben.“
„Bist du überzeugt, daß er dich wiedererkannt hat?“
„Ich möchte darauf schwören. Warum gab er sich für einen anderen aus, als er ist? Doch nur, um mich in Sicherheit zu wiegen.“
„So müssen wir nach einem Mittel suchen, ihn zum Schweigen zu bringen.“
„Das müssen wir, und zwar schnell.“
„Wird Geld helfen?“
„Nein, denn dieser kleine Halunke ist reich genug.“
„So gibt es nur noch eins.“
„Was?“
„Frage doch nicht! Du weißt es selbst so gut wie ich.“
„Hm! Ich verstehe dich: ein Stich mit dem Messer oder eine Kugel in den Kopf. Und zwar darf keine Zeit verloren werden. Morgen früh wäre es vielleicht schon zu spät. Er darf gar nicht bis vor die Polizei kommen. Wenn man erfahren könnte, welches Zimmer er bewohnt!“
„Ich weiß es.“
„Nun?“
„Ich wartete, bis er in das Haus getreten war, und stieg dann über den Zaun in den Garten. Glücklicherweise hat die Quinta keine Höfe und Mauern; sie steht mitten im
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