36 - Das Vermächtnis des Inka
Gelegenheit gehabt, ein Roß, lateinisch Equus, zu besteigen, was aber der Lateiner equo vehi nennt, nämlich die Kunst des Reitens, ist mir doch zu vollen neun Zehnteln fremd geblieben.“
Perillo konnte sich, obgleich er seiner Sache vollständig sicher war, eines Kopfschütteins nicht erwehren. Er zog sein Gesicht in ein diplomatisches Lächeln und meinte, indem er sich verbeugte: „Ich darf nicht weiter in Sie dringen, Señor, denn jedes Ihrer Worte sagt mir, daß Sie unerkannt bleiben wollen. Haben Sie die Güte, meine Zudringlichkeit zu verzeihen! Ich bin überzeugt, daß die Zeit kommt in welcher Sie Ihre gegenwärtige Maske fallenlassen werden!“
Er begab sich nun an seinen Tisch zurück. Der rote Gaucho schüttelte nun seinerseits den Kopf, setzte sich nieder und murmelte: „Maske! Fallenlassen! Dieser Señor scheint sehr zerstreut zu sein.“
Dann beugte er sich wieder über seine Bücher nieder. Aber er sollte bald wieder gestört werden, denn der kleine Kellner, welcher in der Nähe gestanden und die Unterhaltung gehört hatte, kam näher und sagte: „Señor, wollen Sie nicht trinken? Es ist schade um das Bier, es so lange offenstehen zu lassen.“
Der Gaucho blickte zu ihm auf, griff nach dem Glas, tat einen Zug und meinte dann in freundlichem Ton: „Ich danke Ihnen, Señor. Man soll sich gewöhnen, über dem Notwendigen nicht das Angenehme zu vergessen. Und das Trinken, lateinisch potio, ist nicht nur angenehm, sondern sogar notwendig.“
Er wollte weiterlesen, da er aber bemerkte, daß der Kellner noch stehen blieb, fragte er: „Belieben Sie noch eine Bemerkung, Señor?“
„Wenn Sie gestatten, ja. Sie sprachen vorher von Jüterbogk. Kennen Sie diese Stadt?“
„Natürlich kenne ich sie; ich wohne nämlich dort.“
„Sie wohnen dort? Sollten Sie ein Deutscher sein?“
„Der bin ich allerdings, wie auch mein Name Morgenstern beweist. Wäre ich ein Römer, so würde ich lateinisch Jubar heißen.“
„Das freut mich ungeheuer, Señor. Darf ich deutsch mit Ihnen reden?“
„Deutsch? Sind Sie denn ein Deutscher?“
„Na, und wat for einer! Ick bin in Stralau bei Berlin jeboren, also een näherer Landsmann von Sie, Herr Doktor. Denn dat Sie ooch Doktor sind, dat habe ick vorhin jehört.“
„Ein Stralauer! Wer hätte das gedacht! Ich habe Sie für einen Argentinier gehalten. Wie kommen Sie denn über die See herüber?“
„Als jeborene Wasserjungfer, wat man so 'ne Libelle nennt. Sie wissen doch, von wejen dem Stralauer Fischzug und dem Rummelsburger See. Da ist man dat Wasser jewöhnt und jeht dem Wasser nach. So bin ick nach Hamburg jekommen und dann weiter ins Südamerika.“
„Was wollten Sie hier?“
„Reich werden wollte ick natürlich.“
„Nun, und?“
„Ja, nun, und! Das Reichwerden jeht nicht so schnell, wie ick mich's jedacht hatte. Es kommen auch arme Zeiten mit mang, und wenn die nicht wieder uffhören, da bringt man die Million, von welcher ick jeschwärmt habe, eben nicht zusammen.“
„Haben Sie Verwandte zu Hause?“
„Nee. Hätte ick so wen oder wat jehabt, so wäre ick daheim jeblieben. Dann wollt' ick jern beis Militär, denn mein Herz ist stets jut patriotisch jestimmt jewesen; aber da ick um zwei Zoll zu kurz jewesen bin, haben sie mir nicht assentiert, sondern vor untauglich erklärt. Darüber bin ick so ergrimmt jewesen, daß ick in die Fremde jegangen bin, um zu sehen, ob man mir da für tauglich halten wird.“
„Wie lange sind Sie nun schon hier?“
„Fünf Jahre, wat mit die fünfundzwanzig Lenze stimmt, die ich bisher in Blüte jestanden habe.“
„Und womit haben Sie sich während dieser Zeit beschäftigt?“
„Mit allem möglichen, wat ehrlich war, doch ohne es zu wat zu bringen. Jetzt bin ick Kellner hier, doch auch nicht fest, sondern nur zur Aushilfe für heute, weil man viel Jäste erwartet hat. Zuletzt habe ick mir mit Hafenarbeit beschäftigt.“
„Waren Sie schon im Innern des Landes? Ich frage nämlich nicht ohne Ursache.“
„Damit kann ick auch dienen. Ick bin schon zweimal bis nach Tucuman hinein jewesen, und zwar als Pferdeknecht.“
„So können Sie reiten?“
„Wie im Löwenritt von Freiligrath. So wat lernt sich hier zu Lande oft und manchmal schneller, als man's vorher jedacht hat.“
„Das ist gut, sehr gut! Und nun die Hauptsache. Es soll hier in Argentinien sehr viel Knochen geben?“
„Massenhaft!“
„Ausgezeichnet! Ich suche welche.“
„Knochen? Weshalb?“
„Aus Interesse für die
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