37 - Satan und Ischariot I
Fährte hatte ich da oben natürlich gar nicht erwartet. Mit Pferden konnte man nicht hinauf, und da der Häuptling jedenfalls zu Pferd gekommen war, so hatte er dasselbe unten im Tal gelassen, war zur Leiche seines Sohnes hinauf-, dann wieder herabgestiegen und hatte das Tal zu Pferd verlassen. Ob jemand bei ihm gewesen war, das mußte sich erst zeigen. Ich begann also zu suchen; der Knabe half dabei.
Leider war der Boden hart, so daß ausgesprochene Fuß- oder Hufeindrücke nicht vorhanden sein konnten. Einige kleine Zeichen, wie z.B. Abschürfungen einer Bodenstelle, oder ein aus seiner früheren Lage gerissenes Steinchen, waren zwar als Spuren zu nehmen, konnten aber auch von uns selbst, da wir gestern hier gewesen waren, herrühren. Der Indianer strengte sein Auge an. Er wäre sehr stolz darauf gewesen, wenn er auch nur die Andeutung einer Fährte hätte entdecken können. Es war vergeblich; darum rief er endlich unmutig aus:
„Sie sind hier gewesen; das ist sicher. Und doch ist nichts zu sehen. Meine Augen sind heut wie mit Blindheit geschlagen. Old Shatterhand mag ja nicht denken, daß dies stets der Fall ist!“
„Tröste dich mit dem Umstand, daß die Augen Old Shatterhands, die doch geübter sind als die deinigen, auch nichts zu entdecken vermögen“, antwortete ich. „Aber es gibt zweierlei Augen, diejenigen des Körpers und diejenigen des Geistes, der Seele. Wenn die einen mit Blindheit geschlagen sind, muß man die anderen um so offener halten.“
„Die Augen meines Geistes sehen ebensowenig wie diejenigen meines Körpers.“
„Weil du sie wahrscheinlich nach der falschen Richtung öffnest.“
„So mag Old Shatterhand mir sagen, wohin meine Gedanken gehen sollen.“
„Natürlich hinter dem Häuptlinge der Yuma her.“
„Das haben sie doch bisher getan, aber ohne ihn entdecken zu können.“
„Weil du von heut ausgehst. Beginne mit gestern, so wirst du Erfolg haben. Als eure beiden Angreifer vor mir flohen, standest du droben auf dem Felsvorsprung und konntest also besser und weiter sehen als ich. Sie ritten das Tal hinauf. Wir haben dieselbe Richtung eingeschlagen, ohne eine Spur von ihnen oder gar sie selbst zu sehen. Woran mag das liegen?“
„Sie haben wahrscheinlich das Tal sobald als möglich verlassen.“
„Das denke ich auch. Die Talwände sind steil. Kann ein Reiter da hinauf?“
„Nein. Sie haben also in ein Seitental einbiegen müssen.“
„Ja. Ich sehe, daß mein junger Bruder die Augen seiner Seele richtig zu gebrauchen versteht. Natürlich aber haben die beiden Flüchtlinge das Seitental nicht aufs Geratewohl aufgesucht.“
„Nein, sondern ihre Leute haben sich in demselben befunden.“
„Ganz richtig! Kann mein junger Bruder mir noch einen anderen Grund dafür angeben, daß die Sache sich so verhält?“
„Nein!“, antwortete er nach einer Weile vergeblichen Nachdenkens.
„So will ich ihm denselben sagen. Ich nehme an, daß die Yuma die Hazienda überfallen wollen und daß sie sich schon in der Gegend derselben befinden, um den passenden Augenblick abzuwarten. Da werden sie sich nicht offen zeigen, sondern sich verstecken. Das Tal ist ein Teil des Weges, welcher von Ures nach der Hazienda führt; es kann denselben jeden Augenblick jemand benutzen. Darum konnten sich die Yuma nicht hier postieren, und das ist der Grund, den ich meine. Der Häuptling und sein weißer Begleiter haben sich gestern in diesem Haupttal befunden, um auf die Spähe zu gehen, und da zufällig euch getroffen. Wo aber Späher sind, da befinden sich die Krieger, zu denen diese gehören, sicherlich in der Nähe. Wenn ich sage ‚Nähe‘, so meine ich allerdings keine sehr geringe Entfernung, denn wenn sich die Yumas nur eine kurze Strecke von hier befunden hätten, so wären sie sicherlich von dem Häuptling schleunigst herbeigeholt worden, um uns zu ergreifen oder wenigstens zu verfolgen. Wir haben also anzunehmen: Die Yumas befinden sich in einem Seitental dieser Hauptschlucht, aber so weit von der letzteren entfernt, daß sie wenigstens eine Stunde brauchen, um zu Pferde hierher zu gelangen. Will mein junger Bruder sagen, von welcher Beschaffenheit dieses Seitental sein muß?“
„Es muß bewachsen sein; es muß Bäume haben, hinter denen man sich verstecken kann, und Gras, welches als Futter für die Pferde dient.“
„Sehr wahr. Und nun mag mein Bruder sich erinnern, daß wir gestern an den Mündungen dreier Nebentäler vorbeigekommen sind. Wie weit lag das erste von
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