38 - Satan und Ischariot II
nach der Stadt zu, und ich folgte ihm. Als fortgejagter Schiffsjunge war er existenzlos; das schien ihm aber ganz und gar nicht zu Herzen zu gehen. Sein Unterhalt machte ihm keine Sorge; er wußte genau, wie er zu beschaffen war, denn als ich ihn erreicht hatte und so tat, als ob ich an ihm vorübergehen wollte, streckte er mir die Hand entgegen und forderte ein Bakschisch. Ich gab ihm reichlich und fragte ihn dann nach seinen Verhältnissen aus. Er war, was wir bei uns ein ‚sauberes Früchten‘ nennen würden, hatte trotz seiner vierzehn Jahre schon viel durchgemacht und war nun auch zum erstenmal auf der See gewesen, bei der Ankunft aber durchgeprügelt und fortgejagt worden.
„Hattet ihr Güter oder Reisende an Bord?“
„Auch zwei Reisende.“
„Sind die hier in Goletta ausgestiegen?“
„Nein; wir mußten sie nach der Insel Pantellania fahren, wo sie ausstiegen und sich fränkische Kleider kauften; dann nahmen wir sie wieder auf und segelten so lange hin und her, bis ein großes Dampfschiff erschien, auf welches sie stiegen, um mitzufahren.“
„Wie hieß das Schiff?“
„Ich weiß es nicht.“
„Woher kam es, und wohin fuhr es?“
„Auch das kann ich nicht sagen, denn mein Raïs meinte, ich brauche es nicht zu wissen.“
Mehr erfuhr ich nicht; der Junge war zum erstenmal auf dem Wasser gewesen und kannte die bezüglichen Verhältnisse zu wenig, als daß er mir hätte Auskunft geben können. Nur das eine war gewiß, war das Wichtigste und zugleich das Unangenehmste, nämlich, daß die Gesuchten auf einen jedenfalls europäischen großen Dampfer entkommen waren. Jedenfalls hegten sie die Absicht, die schnellste Gelegenheit nach Amerika zu ergreifen, und es galt nun, wenn ihnen nicht zuvorzukommen, so doch ihnen wenigstens nicht die Zeit zu ihrem betrügerischen Vorhaben zu lassen.
Dies teilte ich meinen Gefährten mit, welche mit mir in demselben Hotel wohnten, in welchem wir nach unserer Ankunft abgestiegen waren, und sie erklärten sich einverstanden, mit dem Dampfer abzufahren, welcher morgen nach Marseille fällig war; dort würde sich, davon waren wir überzeugt, schnell eine weitere Schiffsgelegenheit bieten.
Sie gingen dann fort, um einige notwendige Vorbereitungen zu treffen, und ich blieb allein, um Notizen einzutragen. Da hörte ich eilige Schritte draußen; man klopfte stark an und riß die Tür auf, ich erhob mich schnell, um den Betreffenden über diese Ungebührlichkeit zur Rede zu stellen, hielt aber meine Strafrede gern zurück, denn herein stürmte – mein alter, lieber Krüger-Bei. Er umarmte, drückte, quetschte und preßte mich aus Leibeskräften und rief dabei:
„Ihnen schon wieder hier, hier in Tunis! Niemand dürfte gedacht haben, daß eine so schnelle Anwesenheit möglich sei.“
„Ja, es ist schneller gegangen, als ich selbst geglaubt habe“, antwortete ich, indem ich ihm die Rechte schüttelte. „Sie kommen selbst, uns aufzusuchen. Woher wissen Sie, daß wir uns schon wieder hier befinden? Man hat Ihnen wohl die Pferde gezeigt, welche wir mitgebracht haben?“
„Ja, ja, und habe deshalb angenommen, daß Sie auch da seien.“
„Allerdings; diese Pferde konnten nicht allein nach Tunis gelaufen sein; das ist sehr richtig. Auch wird man Ihnen gesagt haben, wer sie abgeliefert hat. Wie gefallen sie Ihnen?“
„Vortrefflich; bei Gewißheit der reinsten Rasse kann sie eigentlich niemand bezahlen.“
„Ja, es ist echtes, reines Vollblut, für welches kein eigentlicher Preis angegeben werden kann, solche Tiere sind eben unbezahlbar.“
„Und wie sind Sie in den Besitz der Pferde gekommen?“
„Ich werde es Ihnen erzählen. Sagen Sie mir aber vorher, wie es kommt, daß auch Sie schon hier angekommen sind! Ich habe angenommen, daß Ihre Gegenwart bei den Uled Ayars länger notwendig ist.“
„Dieser Notwendigkeit bin ich überhoben gewesen durch rasches Handeln nebst schnellem Eingriff bei den Uled Ayuns, daß sie zur Verteidigung keine Zeit hatten.“
Er erzählte mir nun in seinem klassischen Deutsch, daß er meiner Bemerkung in dem Brief, ich würde noch während der Nacht frei sein, Glauben geschenkt hatte. Dennoch war er sofort aufgebrochen, um, falls meine Hoffnung sich nicht erfüllen sollte, uns zu befreien. Die Uled Ayuns hatten noch im Wadi, aus dem wir inzwischen entkommen waren, gelegen. Sie waren freilich vorher entschlossen gewesen, es zu verlassen, an der Ausführung des Vorhabens aber durch unsere Flucht verhindert worden, da ihr Scheik
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