42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
anlangte.
Nachdem er sein Maultier dem Nachbarn wieder übergeben hatte, holte er seine Instrumente und eilte nach dem Schloß.
Es trieb ihn zu der Parkpforte, an welcher er gestern abend von der Geliebten Abschied genommen hatte. Jene stand offen, und er trat ein. Er wandte sich mit raschen Schritten der Richtung nach dem Schloß zu, eilte durch einen langen Laubengang und wollte nun einen kleinen, freigelassenen Platz betreten, als er plötzlich in höchster Überraschung halten blieb. Vor ihm stand Contezza Rosa. Sie hatte soeben den Gang betreten wollen.
Sein erschrockenes Auge hing an ihr wie an dem Bild eines entzückenden Traumes, aber sein Herz pochte wie unter einer unglückseligen Erkenntnis. Konnte diese Dame eine Gesellschafterin sein?
„Rosetta!“ rief er, die Hände halb verlangend, halb abwehrend nach der Herrlichen ausstreckend.
„Señor Carlos!“ antwortete sie. „Wie kommen Sie so früh in den Park?“
„O mein Gott, träume ich? Ich ahne das Entsetzliche. Señora, Doña, Sie sind nicht Rosetta, die Gesellschafterin, sondern –“
„Sondern?“ fragte sie. „Fahren Sie fort, Señor!“
„Sie sind Contezza Rosa.“
„Ja, ich bin es; Sie haben richtig geraten, Carlos“, erwiderte sie, indem sie ihm beide Hände entgegenstreckte. „Können Sie mir vergeben?“
„Vergeben! O mein Gott, wie traurig ist das! Ja, nun weiß ich, warum wir scheiden müssen. Warum haben Sie mir das angetan, warum, Doña Rosa?“
Sie senkte die Lider und gestand mit zitternder Stimme:
„Weil ich Sie liebte und einige Augenblicke glücklich sein wollte. Das ist nun aus, und um so härter ist die Strafe. Mein Vater – aber ich sehe Ihr Besteck, und Sie kommen so früh“, unterbrach sie sich erschrocken. „Hat dies einen Grund?“
„Einen Grund?“ fragte er, immer noch wie halb im Traum. „Ach ja, ich vergesse ja das so furchtbar Wichtige. Gräfin, Ihr Vater befindet sich in höchster Gefahr!“
Über ihr schönes Antlitz zuckte ein tiefer Schreck.
„Mein Vater?“ hauchte sie erbleichend. „Inwiefern?“
Er zog die Uhr, warf einen Blick auf dieselbe und antwortete:
„Mein Gott, die Zeit ist bereits da! Señora, man wird sogleich die Operation an Ihrem Vater beginnen.“
„Jetzt? Die wird ja erst um elf Uhr stattfinden!“
„Nein, man hat Sie getäuscht. Es ist ohne Ihr Wissen bestimmt worden, daß der Schnitt um acht Uhr vorgenommen wird. Ich traf auf meinem Morgenritt den Arzt aus Manresa, von dem ich es erlauschte, ohne mich zu erkennen zu geben.“
„Heilige Madonna! Man verfolgt böse Absichten, sonst würde man mich nicht zu hintergehen suchen. Kommen Sie, Señor, kommen Sie schnell; wir müssen diese Tat verhüten!“
Sie wandte sich und eilte in höchster Aufregung dem Schloß zu; er folgte ihr.
Als sie den Eingang erreichten, war man gerade beschäftigt, ein Pferd in den Stall zu ziehen. Sternau erkannte es als dasjenige des Arztes aus Manresa, der sich sehr gesputet haben mußte, um so schnell in Rodriganda sein zu können.
„Eilen Sie, Señora!“ mahnte der Deutsche. „Die Operateure sind bereits versammelt; wir haben nicht die mindeste Zeit zu verlieren.“
„Vorwärts! Schnell, schnell!“ rief die Gräfin, indem sie die Freitreppe emporstieg und dann in einen mit kostbaren Teppichen belegten Korridor einbog, wo vor einer Tür ein Diener stand.
„Ist der Graf erwacht?“ fragte sie diesen.
„Ja, gnädige Contezza“, lautete die Antwort.
„Ist er allein?“
„Nein. Die Ärzte sind bei ihm.“
„Wie lange?“
„Zehn Minuten.“
„Ah, so kommen wir vielleicht noch nicht zu spät! Hinein, Señor!“
Sie wollte eintreten, doch der Diener trat ihr entgegen und erklärte in einem zwar sehr höflichen, aber doch entschiedenen Ton:
„Verzeihung Contezza; ich habe den strengen Befehl, jedermann bis auf weiteres den Zutritt zu verweigern!“
„Auch mir?“
„Besonders Ihnen.“
Ihr Gesicht nahm einen zornigen Ausdruck an. Sie warf das Köpfchen mit einer unnachahmlich stolzen Bewegung zurück und fragte: „Wer hat Ihnen diesen Befehl erteilt?“
„Graf Alfonzo, der mit zugegen ist.“
„Ah, also dieser! Machen Sie Platz!“
„Ich darf nicht! Verzeihung, Contezza; ich kann nicht anders, denn ich habe den Befehl –“
Er konnte nicht weitersprechen, denn Sternau faßte ihn beim Arm, schob ihn wortlos, aber mit unwiderstehlicher Gewalt beiseite und öffnete die Tür.
Diese führte in das Vorzimmer des Grafen, in welches sie eintraten. Der
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