Guardian Angelinos: Die zweite Chance (German Edition)
1
»Wie ich höre, wurden Sie zum Jurastudium an der hübschen kleinen Uni am anderen Flussufer angenommen.«
Samantha Fairchild sammelte die Cocktails von der Theke ein und lächelte dem Mann zu, der sie durch seine randlose Brille unauffällig begutachtet hatte. »Unsere vertrauenswürdige Barkeeperin hat wohl mal wieder mit mir angegeben.«
Hinter der Theke schwenkte Wendy einen Martinishaker, als wäre es eine Wunderkerze, und funkelte vielsagend mit den Augen. »Nur ein bisschen, Sam. Schließlich bist du unsere einzige Bedienung, die nach Harvard geht.«
Sam, die eigentlich nicht darauf erpicht war, ein Gespräch anzufangen, wenn der Speisesaal des Paupiette’s an einem Samstagabend gerammelt voll war, nickte dem Herrn mit den hellen Haaren zu. Er war sowieso nicht ihr Typ. Zu blass, zu blond, zu … ungefährlich.
»Nichts, wofür man sich schämen müsste, ein Juraabschluss von Harvard«, sagte der Mann. »Ich habe selbst einen.«
»Ach ja? Und was machen Sie jetzt?«
Sein Lächeln wurde breiter. »Geld scheffeln, und das werden Sie auch.«
Er redete wie ein typischer Harvard-Absolvent. »Mich interessiert das Geld nicht so sehr. Ich habe andere Pläne für die Zukunft.« Und sie bezweifelte, dass ein Typ, der von Armani und Rolex nur so strotzte, diese Pläne zu schätzen wusste. Es sei denn, er war Strafverteidiger. Sie betrachtete ihn gerade kritisch, als sich von hinten zwei Hände auf ihre Schultern legten.
»Ich habe Joshua Sterling nebst Begleitung in deinen Bereich gesetzt.« In Keegan Kennedys sanfter Stimme schwang ein warnender Unterton mit, wahrscheinlich, weil sie an der Bar mit Rechtsanwälten flirtete, während ihre Tische voll besetzt waren. »Ich rechne mit einer Provision.«
»Das ist nur gerecht.« Sie machte sich los und balancierte dabei das Tablett mit den Cocktails in den Händen.
»Ich wette, der gibt ein saftiges Trinkgeld, Sam«, sagte der Anwalt, während er zwei Zwanziger auf die Theke legte und der Barkeeperin mit einem Wink zu verstehen gab, dass sie den Rest behalten könne. »Das werden Sie allein schon für die Gesetzestexte brauchen.«
Sie schenkte ihm ein wehmütiges Lächeln, nicht zu vielversprechend, aber auch keine komplette Abfuhr. »Danke … «
»Larry«, half er ihr weiter. »Vielleicht komme ich noch mal vorbei, bevor Sie anfangen, um Ihnen ein paar Tipps für das erste Jahr zu geben.«
»Toll, Larry.« Sie zwang sich zu einem ermutigenderen Lächeln. Er sah aus, als wäre er ein netter Kerl. Langweilig wie trockener Toast, aber andererseits würde er ihr Herz auch nicht mit Füßen treten … oder gar mit Armeestiefeln. »Tun Sie das.«
Sie wandte sich ab, um in den Hauptspeisebereich zu spähen, und erhaschte einen Blick auf eine Gesellschaft von sechs Personen, die vom stellvertretenden Oberkellner zum Tisch geleitet wurde.
Das für Joshua Sterling charakteristische silberne Haar, vor der Zeit ergraut und über die Maßen attraktiv, schimmerte unter den Halogen-Hängelampen, die eigentlich dazu dienten, die Haute Cuisine ins rechte Licht zu rücken, diesem besonderen Gast jedoch einen perfekten Heiligenschein verliehen.
Es war nicht nur sein Trinkgeld, an dem Sam interessiert war. Das letzte Mal, als Bostons berühmter Kolumnist hier gespeist hatte, hatte sich zwischen ihnen eine lebhafte Diskussion über die Innocence Mission entsponnen, und am Ende hatte er einen ganzen Artikel über die gemeinnützige Organisation für den Globe geschrieben. Nach dieser Story war eine Menge Geld in das Bostoner Büro geflossen, in dem Sam ehrenamtlich arbeitete.
»Gute Arbeit, Keegan.« Sam bedachte den Oberkellner, der, seit er vor ein paar Monaten angefangen hatte, ständig zwischen totaler Nervensäge und Geschenk des Himmels hin- und herpendelte, mit einem dankbaren Lächeln. »Rechne mit zehn Prozent.«
Er legte ihr eine Weinkarte auf ihr Cocktailtablett und brachte damit das empfindliche Gleichgewicht der kopflastigen Martinigläser in Gefahr. »Sein Trinkgeld hängt vom Wein ab, also überrede ihn, was aus dem Gewölbekeller zu nehmen. Erhöhe meinen Anteil auf fünfzehn Prozent, und ich verspreche dir, dass uns das Tatar nicht ausgeht. Das ist Sterlings Leibspeise.«
Sie grinste. »Abgemacht, du hinterhältiger irischer Gauner.«
Nachdem sie an einem anderen Tisch die Cocktails serviert hatte, steuerte sie auf die frisch platzierte Gesellschaft zu. Auf dem Weg dorthin nickte sie einem Gast zu, der ihr ein Zeichen gab, dass er zahlen wollte, blieb
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