49 Stunden
17:46.
Montagabend
Mary hatte den ganzen Nachmittag lang den Brief angestarrt.
››Heute Abend um 18:00 am Riesenrad!‹‹, stand darauf. Sie war zum Fenster im Wohnzimmer gegangen und hatte es angestarrt, das Riesenrad. Es war gut zu sehen, wenn es von hier aus auch sehr klein wirkte.
Dort sollte sie Katie wiedersehen. Wie sehr hoffte sie, dass das wahr wurde.
Sie musste sich zwingen, nicht schon viel früher zum Navy Pier zu fahren, aber sie wollte die Entführer und erst recht Harry Castello nicht verärgern. Castello hatte inzwischen die Kaution bezahlt, war aus der Haft entlassen worden und durfte tun, was er wollte – alles, außer das Land verlassen und weitermorden. Wie lächerlich das war, vielleicht saß er jetzt mit ein paar heißen Begleiterinnen in seinem Jacuzzi, aß teuren Kaviar und trank Champagner. Ein Mörder im Luxus! Und was war mit seinen armen Opfern? Die Welt war nicht gerecht, das hatte Mary schon immer gedacht. Aus genau dem Grund hatte sie Jura studiert.
Um kurz nach fünf hielt sie es nicht länger aus. Sie zog sich ihre Jeans und die navy-blauen Turnschuhe an, die sie seit Ewigkeiten nicht angehabt hatte, und fuhr mit dem Fahrstuhl runter. Unten sah sie Dennis, der mit Susi flirtete, doch sie schlich sich an ihnen vorbei.
Draußen machte sie sich auf zum Wasser, um am See entlang zu Fuß zum Navy Pier zu laufen. Je näher sie dem Riesenrad kam, desto schneller schlug ihr Herz. Würde Katie wirklich da sein? Würde es wirklich so einfach sein?
***
›› War das da gerade Mary?‹‹, fragte Dennis und zeigte auf eine Frau, die eilig aus dem Haus lief.
›› Du hast Recht, das ist sie.‹‹ Mary hatte sich anscheinend auf den Weg zum Treffpunkt gemacht. Sie hatte Susi gesagt, wie werde Katie später selbst abholen, sie könne sich gerne mit Dennis verabreden.
›› Ist eigentlich alles wieder okay bei euch? Ist Katie wieder aufgetaucht?‹‹
›› Sie kommt heute Abend wieder‹‹, antwortete Susi zuversichtlich.
›› Gut. Und du? Hast du dir schon was für später überlegt? In welches 5-Sterne-Restaurant willst du mich schleppen?‹‹
›› Kein 5-Sterne-Restaurant. Ich würde nur gerne Shrimps essen bei Bubba Gump am Navy Pier.‹‹
›› Oh, du willst zum Navy Pier? Weißt du, was man von dort aus für einen romantischen Ausblick auf die Stadt hat, wenn es dunkel wird?‹‹
Susi lachte. ››Dennis, ich lebe bereits seit einigen Jahren in dieser Stadt, und der Navy Pier ist nur einen Katzensprung entfernt. Natürlich war ich auch abends schon mal da.‹‹
›› Ach ja? Mit wem?‹‹
Er hört sich richtig eifersüchtig an, dachte Susi. Wir sind nicht einmal richtig zusammen und er ist schon eifersüchtig. Irgendwie aber süß.
Sie beugte sich zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
›› Oh, wofür war der denn jetzt?‹‹
›› Einfach nur so. Bring mich nachher zum Navy Pier und vielleicht wirst du noch mehr davon bekommen.‹‹
›› Ich hab um sechs Feierabend, dann gehen wir los, wenn du willst.‹‹
Sechs Uhr, das würde knapp werden.
***
Dillon hatte sich ebenfalls am Navy Pier eingefunden. Keith und ein paar Kollegen in Undercover hielten sich bereit. Sie hatten Carlo Caine bereits ausfindig gemacht: Er stand hinter einer Palme versteckt in der Nähe des Riesenrades. Sobald die Übergabe stattgefunden hatte, würden sie zuschlagen.
Sie waren bereits lange vor der angegebenen Zeit in Stellung und hatten mit angesehen, wie eine unbekannte Frau zusammen mit einem kleinen Mädchen, dessen Beschreibung auf Katie passte, erschienen war. Sie setzte das Kind ins Riesenrad und verschwand dann. Ein Polizist verfolgte sie sofort. Doch eine Minute später gab er durch, dass er sie verloren hätte.
›› Vergiss sie. Hier ist es zu voll, zu viele Kinder. Wir können hier keine Verfolgungsjagd riskieren‹‹, sagte Keith. ››Außerdem wollen wir kein Aufsehen erregen. Das Wichtigste ist, dass wir das Mädchen haben. Wenn wir uns dann Caine schnappen, wird er uns schon zu seiner Komplizin führen.‹‹
Dillon sah Mary kommen, ein wenig außer Atem. Er sah auf die Uhr: 17:49. Sie war zu früh dran. Hoffentlich machte das Caine nicht nervös.
***
Mary sah auf die Uhr: 17:50. Es waren fast 49 Stunden vergangen, seit Katie ihr genommen worden war. 49 Stunden. Eine kleine Ewigkeit.
Sie war dem Navy Pier immer näher gekommen. Es war ein windiger Abend, vor allem am Wasser war es zudem richtig kühl. Das Haar wehte Mary ins Gesicht und
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