5 1/2 Wochen
sagen: „Die Freundin zeigt Dir durch ihr Verhalten nur, wie Du mit Dir umgehst. Nicht mehr und nicht weniger. Ich glaube, das Du Dich so intensiv mit ihr auseinandersetzt, um Dich selbst nicht wahrnehmen zu müssen!“ Ich lasse sie mit diesem Gedankenanstoß alleine. „Buen camino!“
Bei San Marcos fährt ein Streifenwagen so langsam an mir vorbei, dass mir die Zeit bleibt, auf die Idee zu kommen, die Obrigkeit um einen tierischen Rat zu bitten. Vielleicht ist ein zugelaufener Hund ja für sie Routine. Sie wollen mich überhaupt nicht verstehen, nichts damit zu tun haben. Nach einem kurzen Schulterzucken fahren sie einfach weiter. Unverschämtheit! Ich muss trotzdem grinsen, als die Hündin dem Polizeiwagen genauso perplex hinterher sieht, wie ich es tue.
Gegen halb vier stehe ich tief beeindruckt in Monte do Gozo. Auf einem steilen, weiträumig eingezäunten Hang wurden mindestens eine Million kleine Flachbauten errichtet, in denen man übernachten kann. Es ist keine richtige Herberge, aber ich weiß schon seit vielen Tagen, dass dies ein Pilgermagnet ist. Es soll ganz toll sein, sich hier einzumieten. Es sind nur noch knappe fünf Kilometer bis nach Santiago. Für meinen Geschmack zu nah am Ziel, um noch einmal zu übernachten. Aber auch zu weit für den Pilger, um von der Kathedrale aus lediglich zum Schlafen zurückzulaufen. Ich gehe fest davon aus, dass es in Santiago de Compostela hunderte Hotels, Hostals und Herbergen gibt. Warum will ein Pilger in einer Kaserne nächtigen?
Ich öffne das Tor, um mir das Gelände mit seinen nüchternen Bauten aus der Nähe anzusehen. Ordentlich wie ich bin, schließe ich es natürlich auch sorgfältig wieder. Au! Moment! Jetzt hab ich meiner zugelaufenen Hündin doch glatt die Tür vor der Nase zugeschlagen. „Tschuldigung, dann komm schnell!“ Wow! Wie blöd kann ich eigentlich sein? Ich war sie doch schon los! Mach ich Depp das Tor nochmal auf! Fassungslos stehen wir uns gegenüber und schauen uns fragend an. Ich vermute, dass das hier schon öfter ihre Endstation mit einem Pilger war und sie mir nur noch „Adiós y gracias por todo“ sagen wollte. Ich probier’s! Mach das Tor nochmal auf und habe den Schimmer einer Hoffnung, dass sie zurückgeht. Ach, was red ich lange. Natürlich fühlt sie sich von mir eingeladen und bleibt.
Ich lasse die Stimmung in dieser Massenanlage auf mich wirken. Es scheint alles ausgebucht zu sein. Hunderte Pilger tummeln sich hier. Vielleicht entdecke ich die Faszination ja innerhalb eines dieser Gebäude. Ich treffe auf zwei Frauen, die mit ihrer Wäsche beschäftigt sind. Ich fange ein Gespräch an und finde heraus, dass es darum geht, mit so vielen Pilgern wie möglich am gleichen Ort zu sein. „Aber dafür gibt es doch die Pilgermesse.“ „Das ist was anderes.“ Ja, dann!
Nach einem endlos scheinenden steilen Weg hinunter zur Rezeption, betrete ich das Touristikzentrum. Es ist das größte, das ich auf dem gesamten Camino Francés zu Gesicht bekommen habe. Die wissen doch bestimmt, was ich mit dem Hund machen soll. Die rufen das Tierheim an und lassen ihn abholen, damit er gut versorgt wird, oder? Ja! Das würden sie machen! Wenn ich für die Kosten aufkomme. Na, dann fällt das raus!
Die überaus sympathische Señorita hinter dem Schalter beruhigt mich: „Mach Dir keine Sorgen. Die Hunde im Umkreis von 50 Kilometern laufen ständig den Camino mit einem netten Pilger rauf und runter. Er wird bis zur Kathedrale mitgehen und dann den Heimweg antreten. Nimm ihn als compañero cariñoso (liebevolle Begleitung)!“ Mir bleibt nichts, als die Angst, dass mir das liebgewonnene Tier in der großen Stadt unter die Räder kommt.
gleicher Tag (insgesamt 784,0 km gelaufen)
Santiago de Compostela (90188 Einwohner), 260 m ÜdM, Provinz La Coruña
Pension, Doppelzimmer, 30 € ohne Frühstück
Es ist ein langer und unangenehmer Weg nach Santiago de Compostela hinein - wie es auf dem Camino vor jeder großen Stadt war. Ich überquere Autobahnen, Nationalstraßen, Bahngleise, muss mich mit Industriegebieten und lärmendem Verkehr auseinandersetzen. Ein Bürgersteig an einer endlos erscheinenden breiten, stark befahrenen Straße bringt mich der Altstadt immer näher. Es ist noch vor halb fünf und ich bin fast am Ziel. Die Sonne hat kein Erbarmen und heizt uns mächtig ein. Auf einem Betonklotz gönne ich uns dreien eine kurze Verschnaufpause.
Die Hündin verhält sich übrigens vorbildlich. Sie bleibt immer hinter Ruddi - der
Weitere Kostenlose Bücher