5 1/2 Wochen
antworten. Wahrscheinlich gehen hinter uns Pilger, die sich köstlich über unsere wild fuchtelnden Hände und Arme amüsieren.
Mir nichts, dir nichts, liegt der Flughafen weit hinter uns und wir befinden uns auf der Zielgeraden zu einer Bar in San Paio. Plötzlich bleibt Jesus stehen, sieht mich durchdringend an, nimmt meine Hand und führt sie langsam in Bauchhöhe zu sich hin. Ich halte die Luft an! Was kommt denn jetzt? Die Sekunden werden zu Minuten. Mein Knie ist schon zum Abschuss bereit. Ich allein weiß: „Señor, noch eine falsche Bewegung, dann...“ Endlich dreht er sich zur Seite und führt meine Hand an seinen Rucksack. Ich soll da was rausholen. He? Was soll ich? „Jesus! Zieh das Ding aus und nimm Dir selber was Du brauchst!“ denke ich. Aber nein! Ich muss da ran.
Bis ich begriffen habe, dass es um ein kleines Fläschchen mit medizinischem Alkohol geht, haben uns drei Pilger überholt. Einer grüßt und lacht. Der Zweite grüßt und schüttelt den Kopf, weil wir im Weg stehen. Der Dritte fragt, ob er helfen kann und grüßt dann erst. In meinem Hirn rattert es: „Wie und wann könnte ich diesen Jesus abhängen? Das wird mir langsam zu viel!“
Er hingegen freut sich, öffnet das Fläschchen und reibt mir ohne Vorwarnung den Unterarm mit dem Zeug ein. Nachdem ich den ersten Schreck überwunden habe, nehme ich den angenehm erfrischenden Duft der Tinktur wahr und gestehe, dass das Zeug erstaunlich gut tut. Jesus schmeißt seine Jacke auf den Wegesrand und will, dass ich mich darauf setze. Ich will das nicht, habe keine Ahnung was er vorhat. Jedenfalls ist mir das nicht geheuer. Ich bin froh, dass auf dieser letzten Etappe wirklich viele Pilger unterwegs sind und ich mit diesem kleinen, überaus quirligen Mann nicht länger als zwei oder drei Minuten am Stück alleine bin. Viel Gestik und Mimik geben mir zu verstehen: „Zieh Dich aus und lass Dich verwöhnen!“
Ich kann mich nicht mehr halten, bekomme einen Lachanfall. Meine Fantasie geht mal wieder mit mir durch: „Ein G’spusi mit Jesus! Das können auch nicht viele von sich behaupten.“ Endlich begreift auch er, wie sein Benehmen auf mich wirkt, lacht mit: „No, no, sólo quiero los pies (nein, nein, ich will nur deine Füße)!“ Er meint es wirklich so! Er will mir Hier und Jetzt die Füße massieren. So verlockend das auch sein mag, ich setze mich entschlossen in Bewegung und er läuft sofort mit. Den Señor abzuhängen, wird mir nicht gelingen. Er ist viel zu schnell für mich. Ich überlege kurz, wie der spanische Befehl für „Fass, Hündin“ heißen könnte. Meine beiden Perros interessiert das ganze so gar nicht. Die sind sich einig und mit Schnuppem beschäftigt.
Zusammen erreichen wir die Bar. Die große Terrasse ist voll besetzt. Jesus will mit mir gemeinsam kuschelig drinnen sitzen. Ganz davon abgesehen, dass das so gar nicht meinen Vorstellungen und Wünschen entspricht, erkenne ich schon im Ansatz das Scheitern seines Vorhabens. Auf den breiten Stufen vor dem Lokal haben es sich die vielen Pilger „gemütlich“ gemacht. Drinnen ist soviel los! Die Bude ist gerammelt voll. Gibt es was umsonst? Oder tanzt der Papst im Kettenhemd!? Es ist jedenfalls aussichtlos sich bis an die Theke vorzuarbeiten. Jesus befiehlt mir, an Ort und Stelle zu warten, er wolle die Getränke besorgen. Ich zeige begeistert auf eine Kellnerin, die hier draußen bedient und spinkse nach einem freien Stuhl. Mein neuer Pilgerkumpel will das aber nicht. Ich soll warten. „Nein, Amigo, ich setz mich jetzt hier draußen hin, mach was Du willst!“ Wenn Blicke töten könnten, käme ich nicht mehr in Santiago an. Jesus ist sauer. Warum? Es wird wohl für immer sein Geheimnis bleiben. Jetzt weiß ich, er spinnt wirklich ein bisschen und überlasse ihn sich selbst und seinen Launen.
Noch bevor er im Lokal verschwindet, finde ich einen freien Platz und setze mich zu drei Münchnerinnen an den Tisch. Von hier aus sehe ich noch, wie mein Begleiter ungefähr eine Viertelstunde später mit zwei Getränken raus kommt. Sein Blick belegt mich mit einem Fluch und er trinkt - auf der Treppe sitzend - demonstrativ abwechselnd aus beiden Gläsern.
Die drei Münchnerinnen erinnern mich sehr an die vier Mädels, mit denen ich meine allererste Nacht meiner Pilgerreise in Saint Jean Pied de Port verbracht habe. Diese Frauen habe ich das letzte Mal auf meiner zweiten Etappe durch die Pyrenäen bei der lebensmüden Braut, die sich Gott sei Dank als Statue entpuppte,
Weitere Kostenlose Bücher