5 Farben Blau
düster aus, auf eine geheimnisvolle Art und Weise. Seine Haare sind kurz geschnitten, die Locken aus der Stirn gekämmt. Im Gegenlicht ist zu erkennen, dass sie schwarz sind, so wie sein Bartschatten. Seine Haut ist gebräunt, als wenn er sich oft an der frischen Luft bewegt, das hellblaue Hemd und der dunkelblaue Anzug betonen seine blauen Augen. Er trägt eine hellblaue Krawatte, die gut mit den anderen Blautönen harmoniert.
5 Farben Blau, wenn man das Parfum mitrechnet , geht es mir durch den Kopf. Ich schätze ihn auf Mitte dreißig und er ist groß, größer als Alex. Wer ist das? Der ältere Bruder von Matthew Bomer? Er wirkt wie jemand von der Security, vielleicht ist er der Bodyguard von Mr Cunningham, für den Alex arbeitet?
» Jaz, hast du meinen Ordner gesehen? Schmal, schwarz?«, schreit Alex aus dem Obergeschoss zu mir herunter.
Ich löse langsam meinen Blick von dem Fremden, er hat die Augenbrauen zusammengezogen. Mit schnellen Schritten erklimme ich die Stufen in das Obergeschoss. Ich weiß, dass der Bodyguard mir hinterherschaut und bin mir sehr bewusst, dass er von dort unten an der Haustür gerade überproportional viel nacktes Bein und knappen Slip zu sehen bekommt. Das ist mir unangenehm, obwohl es an meinem 29-jährigen Körper nichts gibt, für das ich mich schämen müsste.
»Ich habe ihn .« Triumphierend kommt Alex aus seinem Arbeitszimmer und hält den Ordner in die Höhe.
»Was ist denn los ?«
»Wir haben ein Meeting und ich habe wichtige Unterlagen vergessen. Denke an deinen Termin bei mir um vierzehn Uhr. Dann sprechen wir über den Job für dich, okay ?« Er küsst mich auf die Stirn und schon ist er aus der Tür.
Mein stiller Beobachter wirft mir noch einen letzten Blick zu, wendet sich grußlos ab und folgt Alex. Die Tür fällt hinter ihm ins Schloss. Na dann, guten Morgen!
Ich lasse mich auf den oberen Treppenabsatz und meinen Kopf gegen die Wand fallen. Mann, der Jetlag bringt mich um.
Alex hat die glorreiche Idee, dass ich als seine Assistentin fungieren kann, bis ich Arbeit gefunden habe. Die Chance, mitten in Frankfurt am Main einen Job als Meeresbiologin zu finden, geht wohl eher gegen null. Sein Angebot ist aber besser als nichts, auch wenn es nur ein öder Bürojob ist bei irgend so einer Holding, die Museen und Galerien verwaltet. Bis ich weiß, wohin es mich demnächst beruflich verschlägt, kann ich bei meinem Bruder wohnen. Da wir keine weiteren Angehörigen haben, hat er dieses schicke Einfamilienhaus am Frankfurter Westend gekauft, damit es einen Fixpunkt in unserem Leben gibt. Mir hätte auch eine kleine Wohnung gereicht. Seit Mutter bei einem Verkehrsunfall vor drei Jahren ums Leben kam, hat es sich Alex zur Hauptaufgabe gemacht, mir ein bodenständiges Zuhause zu bieten. Damals studierte ich noch und kam ihn in den Semesterferien immer für einige Wochen besuchen.
Ich glaube, dass unsere Mutter starb, hat ihn wesentlich schwerer getroffen als mich. Dabei ist er das Kind, das adoptiert wurde und ich bin die leibliche Tochter unserer Eltern. Alex war schon immer der ruhige und zuverlässige Junge, den Mutter sich so sehr gewünscht hatte, während ich die unstete, wilde Tochter gab, die nicht früh genug das Nest verlassen konnte, zum Leidwesen meiner Mutter. Vater, ein amerikanischer Soldat, fiel in Afghanistan. Nach seinem Tod hat sie uns zwei ganz allein großgezogen. Dad habe ich meinen für deutsche Verhältnisse exotischen Vornamen zu verdanken.
Wäre Mum noch am Leben, wäre sie sicherlich sehr stolz auf Alex, so, wie ich es auch bin. Vermutlich habe ich Alexander meine Existenz zu verdanken, denn unsere Mutter konnte keine Kinder bekommen, so hatte es ihr zumindest der Arzt vorausgesagt. Daraufhin adoptierten meine Eltern einen Jungen – Alex. Er war damals zwei Jahre alt, ein hübscher Bengel mit blonden Haaren, wie auf alten Babyfotos zu sehen ist. Sechs Jahre später wurde meine Mutter aus heiterem Himmel mit mir schwanger.
Alex war für mich schon immer mehr Freund als Bruder, was vermutlich an dem Altersunterschied liegt. Mit ihm kann ich alles besprechen. Dass unsere Mutter uns so früh verließ, hat uns noch enger zusammengeschweißt, auch wenn ich in der letzten Zeit versuche, mich abzunabeln, denn Ale xʼ besonderer Beschützerinstinkt geht mir manchmal mächtig auf die Nerven.
~
Ungeduldig drücke ich zum dritten Mal auf den Knopf, um den Fahrstuhl zu rufen. Ich weiß, dass es nichts nützt, doch irgendwie muss ich meiner
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