54 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 06 - Die Kosaken
wohl Visite über die See hinüber?“
„Es scheint so“, nickte der Gefragte.
„Was kann das nützen? Gar nichts. Man darf nie denken, wie es sein könnte, sondern wie es ist.“
„Wenn es nun aber doch besser sein könnte?“
„Das ist unmöglich. Man muß sich eben nur ein wenig mehr um die Gegenwart bekümmern.“
„Das ist unnütz. Dadurch kommt niemand von Amerika herüber.“
„Vielleicht doch!“
„Nein. Ich werde hinüber müssen. Habe schon seit zwei Monaten keinen Brief erhalten.“
„Nicht?“ fragte Sam, indem er ein ganz erstauntes Gesicht machte.
„Nein.“
„Aber doch den heutigen, den ich vom Briefträger unterwegs erhielt und – – – oh, Sapperlot! Er war an Sie, aus Amerika, und ich habe ihn draußen auf der Veranda auf dem Tisch liegen lassen! Verzeihung! Ich werde ihn gleich –“
Sam tat, als ob er fortwolle.
„Halt, halt! Ich hole ihn mir selber!“ rief Martin.
Dann sprang er eilends auf, drängte sich durch die Anwesenden und öffnete hastig die Tür. Da sah er im Schein des herausdringenden Lichts Wilkins mit Almy auf der Veranda stehen.
„Almy, meine Almy!“ schrie nun Martin auf.
„Martin!“ hauchte Almy ganz erschrocken.
Er aber riß sie in seine Arme und brachte sie herein. Ihr Vater folgte, und der Dicke lachte sich ins Fäustchen.
Es läßt sich denken, welch eine Freude das Erscheinen der beiden neuen Ankömmlinge verursachte. Und dazu kam das Mädchen herein und brachte ein großes, mit dem großherzoglichen Siegel versehenes Schreiben, das soeben für Normann abgegeben worden war.
Dieser öffnete es und las es durch. Dann meldete er zu aller Entzücken:
„Morgen trifft Prinz Oskar hier ein. Um ihn zu empfangen, wird der Großherzog selbst kommen und hat für Vormittag elf Uhr folgende Personen zur Audienz befohlen.“
Normann las die Namen vor. Da waren alle, alle verzeichnet. Zum allgemeinen Erstaunen stand sogar Master Wilkins mit Miß Almy dabei. Und auch Günther von Langendorff war, zur unaussprechlichen Freude Magdas, nebst seinem Freund Zimmermann auf Veranlassung Steinbachs aus weiter Ferne zur Audienz beim Großherzog geladen worden. Nur ein einziger fehlte in diesem Namensverzeichnis – Steinbach. Das waren Rätsel, die niemand zu lösen vermochte, bis Steinbach selbst zurückkehrte und man ihm den Inhalt des Schreibens mitteilte.
„Das ist alles sehr einfach“, sagte dieser. „Der Großherzog interessiert sich ungemein für die Helden unserer Abenteuer und will sie bei Gelegenheit seiner morgigen Anwesenheit kennenlernen. Ich habe ihm ein Namensverzeichnis einsenden müssen, und da ich wußte, daß Master Wilkins heute abend kommen werde, fügte ich auch seinen Namen mit bei.“
„Warum aber fehlt gerade der deinige?“ erkundigte sich Semawa.
„Weil Seine Hoheit mir für morgen einen Auftrag erteilt haben, der mich verhindert, zu erscheinen. Ich verreise schon früh, du wirst also an der Seite deines Vaters vor dem regierenden Herrn erscheinen.“
Damit war nun abermals ein unerschöpflicher Gesprächsstoff gegeben. Die meisten der Anwesenden hatten noch nie eine Audienz bei einem Monarchen gehabt und waren ganz entzückt über die Ehre, die ihnen widerfuhr. Sie erkundigten sich natürlich nach allem, selbst nach den geringsten Kleinigkeiten, die da zu beobachten seien, und es war sehr, sehr spät, als die so innig verwandte Gesellschaft sich trennte.
Am anderen Morgen begab Steinbach sich nach dem Bahnhof, um die erwähnte Reise zu machen, worauf der Großherzog im strengsten Inkognito erschien. Er hatte sich jeden Empfang verbeten und fuhr schleunigst nach dem Schloß.
Dann wurde es in der Stadt ruchbar, daß es um elf Uhr eine ganz außerordentliche Audienz mit darauffolgendem Frühstück gebe, und die Menschen drängten sich an den Schloßweg, um die Geladenen passieren zu sehen. Ihre Neugierde wurde nicht ausreichend gestillt, denn der Großherzog ließ die Betreffenden in Equipagen abholen.
Punkt elf Uhr waren sie alle im Vorzimmer versammelt und durften nun in den Audienzsaal treten, wo sie Stellung nahmen, voran der Maharadscha und der Lord, mit Gökala, jetzt Semawa genannt, in der Mitte. So ging es weiter herab bis zu Jim und Tim, die den Schluß machten.
Dann trat der Großherzog ein, ganz allein, und begann die Audienz. Er gab sich ganz als Privatmann, und bald war die Reihenfolge aufgelöst, und jeder bewegte sich nach eigenem Wohlgefallen.
Als nach einiger Zeit gemeldet wurde, daß das Dejeuner
Weitere Kostenlose Bücher