56,3° Im Schatten
Arbeitslager jenseits vom Ural; sie kennen kein Freibier, nur den gepanschten Erdäpfelschnaps; sie kennen kein Schuhplatteln, sondern nur Fußtritte in den Arsch hinein, und zwar in ihren Arbeitslagern; keine Trachtenjoppen, nur die Kommunistenuniformen; kein Schnitzerl, nur die dünne Suppe der Arbeitslager. Muss ich noch mehr sagen?“
„Nein danke!“
„Leider habe ich von den vielen Schlaglöchern in unserer Straße so schlechte Zähne, dass ich sowieso keinen zähen Kommunisten hinunterbringen täte, selbst wenn ich einen zu fassen kriege, also lieber die gefüllten Paprika von meiner Mutti, alles war sicher nicht schlecht früher, die Autobahnen waren früher sicher besser, wie schaut es mit euren Zähnen aus?“
Vielleicht liegt es ja an den schlechten Straßen im Land, überlegt der Biermösel jetzt, dass heuer erst ein Bankdirektor mit sechs Autos und ein Tennislehrer mit Tennisarm, dafür aber gleich zehn Zahnärzte aus dem aufstrebenden Mittelstand mit ihren zusammen 27 schwarzen Geländewagen den dauerhaften Aufenthaltsstatus in der ehedem saftigen und sauberen Heimat Aussee erlangt haben, allesamt schnell mit dem Loden verwachsen, wie es die heimische Politik vorschreibt, und mit einem einmaligen Schädel ausgerüstet, dem der Gamsbarthut wie angewachsen steht.
Dazu noch – und das ist die Überraschung! – der Volksmusikkönig Weiß Ferdl als vielleicht prominentester Neuzugang, der zwar kein Zahnarzt ist, sich aber in den Spitzgiebelaltbau von einem leider tragisch an der Hitze zugrunde gegangenen Zahnarzt am Gebirgskamm drüben eingekauft hat, wo er jetzt bei offenen Fenstern vor sich hin trällert und neue Sommerhits bastelt, und zwo, drei:
„Sommer hier und Sommer da
Sommer ist’s das ganze Jahr
Irgendwo auf der Welt
Wo’s dem Sommer grad gefällt.“
Der macht es sich auch gerne einfach!
Der Biermösel kann also gar nicht sagen, wie sehr er den Tag verflucht, an dem der Weiß Ferdl hierher gezogen ist, mit dem ihn rein gar nichts verbindet, weder weltanschaulich noch musikalisch, weder bei offenen Fenstern noch bei geschlossenen. Er selbst hört sich auf seiner Schwitzhütte ja lieber zehnmal hintereinander „Duttelwatschen & Bier Vol. 6“ von den Radinger Spitzbuben an als einmal „Sommer Hits Vol. 26“ vom Weiß Ferdl, darauf scheißt er.
Die Einheimischen haben jedenfalls schön deppert geschaut, als unser berühmter Weiß Ferdl sich hierher zurückgezogen hat, wo er doch die längste Zeit woanders gelebt hat. Zwar weiß keiner genau, wo, aber man wird sich ja noch Gedanken machen dürfen:
„Ich hab unseren Ferdl schon gesehen, wie er eine Flasche Cognac aus Frankreich aus seiner Hosentasche gezogen und das Bier aus der Heimat von sich geschoben hat!“
Und ein anderer:
„Ich hab ihn schon auf Französisch singen gehört, und zwar ‚Frère Jakob, Frère Jakob‘, das war sehr schön!“
Dann der nächste, einer mit Schulabschluss:
„Und ich hab ihn schon auf Französisch sagen gehört: ‚L’Humtatá, c’est moi!‘“, aber wegen der vielen Schlaglöcher in den Straßen hat er einen Hirnschaden gehabt, und er hat dann nicht mehr sagen können, was das in einer richtigen Sprache heißt.
Was weiß das Volk noch über den Ferdl?
Einen kleinen Schnauzer hat sich der Ferdl zwischen seinen Auftritten in den Bierzelten der Welt wachsen lassen, aber keinen blonden, was die Vorschrift ist, sondern einen in schwarz, was verdächtig ist. Bald war er im Verruf, dass er überhaupt kein wirklicher Blondie ist, und das wäre dann schon bedenklich, wenn einer die Leute so zu täuschen vermag. Dann kann es nämlich auch gut sein, dass er überhaupt ein Franzose ist, wundern täte es jedenfalls keinen.
„Pfui Teufel!“
„Verräter!“
„Napoleon!“
„Holladiödülliö!“
Die Beschwerden über den Biermösel häufen sich dann.
Zart besaitete Bürgerstöchterl auf Sommerfrische, nach dem Spaziergang unter ihrem Sonnenschirm, während dem sie an seinem Gendarmerieposten vorbeikommen, rümpfen trotz der geschlossenen Thermofenster das Näschen über den einen oder anderen von ihm ausgestoßenen Andachtsjodler und greifen zum parfümierten und von der Großmutti geerbten Schnäuztuch, das sie sich vor das gepuderte Näschen halten. Noch einmal heil und halbwegs unbeschadet zu Hause angekommen, rufen sie dann im Rathaus an, aber der Bürgermeister ist leider nie an seinem Amtssitz, weil er, wie es auch heißt, die Nähe zum neu zugezogenen Ferdl sucht und
Weitere Kostenlose Bücher