58 - Die Liebe des Ulanen 04 - Hinter feindlichen Linien
dorthin?“
Er zögerte einige Augenblicke. Darum fragte sie:
„Ist das ein Geheimnis?“
„Ich kann das nicht leugnen. Es ist sogar ein höchst wichtiges Geheimnis.“
„Welches Sie mir nicht mitteilen können?“
Obgleich sie nur ganz leise sprach, klang es doch wie ein Vorwurf von ihren Lippen.
„Ich wollte, ich dürfte Ihnen alles, alles mitteilen!“ antwortete er.
„Sie dürfen also nicht?“
„Nein.“
„Und dennoch müssen Sie sich sagen, daß ich Ihnen in diesem Augenblick ein Vertrauen entgegenbringe, wie es größer wohl kaum gedacht werden kann!“
„Baronesse, ich gestehe, daß ich mich tief beschämt fühle! Aber diese Geheimnisse sind nicht mein ausschließliches Eigentum!“
„Das ist allerdings ein Grund. Also sagen Sie mir wenigstens so viel, wie Sie sagen dürfen!“
„Ich will alles tun, was ich darf, indem ich Ihnen erkläre, daß ich nicht nur in der Absicht, Ihren Bruder zu unterrichten, nach Schloß Ortry kam.“
„Das ist mir allerdings eine große Überraschung. Sie verfolgen also noch andere Absichten?“
„Nur eine einzige noch: die Beobachtung des Kapitäns.“
„Ah! Sie kamen, ihn zu beobachten! Das läßt mich vermuten, daß Sie eigentlich nicht Erzieher sind, sondern etwas anderes.“
Diese Wendung war ihm sehr unangenehm. Er beschloß, lieber eine Unwahrheit zu sagen, als sich in eine schiefe Lage zu bringen. Darum fragte er:
„Was sollte ich da wohl sein?“
„Polizist vielleicht“, antwortete sie zögernd.
„Nein, Polizist bin ich nicht, gnädiges Fräulein. Ich bin wirklich der, als den Sie mich kennen. Aber ich habe einen Freund, welcher, als er von meinen Engagement erfuhr, mich bat, mich nach gewissen Verhältnissen zu erkundigen.“
„Darf ich diese Verhältnisse kennenlernen?“
„Sie beziehen sich auf eine Familie, über welche der Kapitän einst sehr großes Unglück gebracht hat. Diese Familie leidet jetzt noch darunter, und mein Auftrag geht dahin, zu erfahren, ob nicht eine Änderung, eine Besserung möglich ist.“
„Dann sehe ich allerdings ein, daß Sie nicht alleiniger Besitzer Ihres Geheimnisses sind. Sie müssen diskret sein, und ich darf nicht in Sie dringen.“
„Ich danke aus vollstem Herzen, gnädiges Fräulein! Muß ich nun aber befürchten, daß Ihr Vertrauen, welches mich so sehr beglückte, erschüttert worden ist?“
„Nein. Ich vertraue Ihnen, wie ich Ihnen bisher vertraute. Hier, meine Hand darauf!“
Sie streckte ihm ihre Hand entgegen. Er führte dieselbe an seine Lippen und küßte sie. Dann fuhr er fort:
„Der Kapitän ist ein gefährlicher Mann. Ich merkte, daß er Böses sann gegen eine Person, für welche ich mich interessieren muß; daher beobachtete ich jeden seiner Schritte. So kam ich zu der Kenntnis, daß es hier im Schloß geheime Treppen und Türen gibt.“
„Davon habe ich keine Ahnung gehabt!“
„Ich ahnte es gleich in der ersten Stunde meines Hierseins. Und es dauerte nicht lange, so kannte ich diese Geheimnisse. Heut nun hatte ich Veranlassung, den Kapitän auf einem seiner Schleichwege zu beobachten. Er ging zu Rallion.“
„Auch durch eine geheime Tür?“
„Ja.“
„So kennt auch Rallion diese Geheimnisse?“
„Zum Teil, ja.“
„Gott, so ist man hier ja bei Tag und Nacht von tausend Gefahren, welche man gar nicht kennt, umgeben!“
„Es gibt Augen, welche über Sie wachen.“
„Die Ihrigen! Ja, ich weiß das, und das beruhigt mich. Aber, darf ich vielleicht erfahren, wer die Person ist, für welche Sie sich so interessieren?“
„Master Deep-hill, der Amerikaner.“
„Dieser? Kennen Sie ihn?“
„Erst seit hier und jetzt.“
„Aber wie können Sie ihm dann eine Teilnahme schenken, welche Sie sogar veranlaßt, den Kapitän zu beobachten?“
„Ich habe erfahren, daß der Kapitän den Amerikaner ermorden will.“
„Ermorden? Herr mein Gott! Sprechen Sie im Ernst?“
„Gewiß. Wenn ich nicht aufgepaßt hätte, so wäre Deep-hill bereits gestern eine Leiche gewesen.“
„Jesus! Ahne ich recht! Sie meinen doch nicht etwa, daß der Kapitän bei dem Eisenbahnunglück seine Hand im Spiel hat?“
„Leider ist es so. Ich gab Ihnen ja bereits einige Andeutungen. Der Kapitän ist Ihr Verwandter; leider aber kann mich das nicht abhalten, Ihnen zu sagen, daß er der größte Schurke und Bösewicht ist, den es nur geben kann.“
„Ich habe Ihnen ja bereits gesagt, daß auch ich ihn fürchte und verabscheue. Ihre Aufrichtigkeit beleidigt mich also keineswegs. Darf
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