58 - Die Liebe des Ulanen 04 - Hinter feindlichen Linien
welches zu Rallions Schlafzimmer führte. Auch hier gab es zwei Riegel; aber sie waren nicht vor-, sondern zurückgeschoben. Er steckte die Laterne in die Tasche und horchte.
Drinnen regte sich nicht das mindeste. Er schob das Fachwerk langsam auf. Es ließ sich bewegen, ohne daß das geringste Geräusch verursacht wurde. Er steckte den Kopf in die Öffnung und bemerkte, daß er sich vor einem ganz dunklen Raum befand. Er trat in gebückter Haltung ein, zog die Laterne hervor, öffnete sie ein Lückchen und leuchtete vorsichtig umher.
„Gott sei Dank!“ flüsterte er befriedigt. „Marions Wohnzimmer. Ich habe es getroffen; nebenan schläft sie.“
Er schob das Getäfel wieder zu und fühlte sein Herz erleichtert. Nun er sich bei der Baronesse befand, konnte dieser nichts geschehen. Jetzt öffnete er die Laterne vollständig und blickte sich um. Sein Auge fiel auf einen seidenen Sonnenschirm, welcher noch an der Ablage hing.
„Das paßt“, dachte er. „Sie werden ihr Kommen verraten.“
Er nahm den Schirm und lehnte denselben so gegen das Tafelwerk, daß er umfallen mußte, wenn dasselbe geöffnet werden sollte. Dadurch entstand ein Geräusch, welches die Ankunft der beiden verkünden mußte.
„Jetzt nun zu ihr!“
Mit diesem Gedanken näherte er sich dem Eingang zum Schlafzimmer. Dieses war nur durch Portieren abgetrennt. Die Tür hatte man für die warme Sommerzeit ausgehoben. Bereits stand er an der Portiere, da kam ihm ein Gedanke:
„O weh! Ich habe doch den Buckel abgeschnallt! So wie ich jetzt bin, darf sie mich ja gar nicht sehen!“
Er blickte sich um. Auf einem Stuhl lag etwas, irgendein Wäsche- oder Kleidungsstück. Er untersuchte gar nicht erst, was es war, sondern stopfte es sich unter die Weste am Rücken empor. Dann schlug er die Portieren auseinander und trat leise ein.
Da lag sie, die Heißgeliebte, die Angebetete im Schlaf! Von ihrem Köpfchen fluteten zwei lange, volle, dunkle Haarflechten hervor. Sie atmete ruhig. Die Wangen waren leicht gerötet. Die seidene Schleife des Negligés war aufgegangen – er wendete den Blick ab, um dieses Heiligtum einer schönen, reinen Jungfräulichkeit nicht zu entweihen, trat aber doch an das Bett heran. Indem er sich nach der anderen Seite drehte, faßte er die seidene Steppdecke.
„Baronesse!“
Sie regte sich nicht.
„Gnädiges Fräulein!“
Auch das hatte keinen Erfolg.
„Fräulein! Marion!“
Er zupfte stärker. Da bewegte sie sich. Er wendete unwillkürlich, ganz gegen seinen Willen, den Blick zu ihr. Ein schöner, voller Arm hatte sich unverhüllt unter der Decke hervorgeschoben, wie von der Hand eines Meisters aus dem reinsten, glänzenden Alabaster geformt. Es war ihm, als müsse er sich niederbeugen, um seine Lippen auf ihn zu drücken.
„Sie hört es nicht!“ dachte er. „Wie wird sie erschrecken! Aber wenn ich das Licht entferne, erschrickt sie noch mehr!“
Er näherte sich ihrem Kopf, ergriff die Decke und zog sie leise, leise über Arm und Busen der Schläferin hinweg. Und nun erst, da nur der Kopf zu sehen war, bog er seinen Mund zu ihrem Ohr nieder und flüsterte:
„Baronesse Marion!“
Da schlug sie langsam die Augen auf, hielt sie einen Moment lang auf ihn gerichtet und schloß sie dann wieder. Er bemerkte keine Spur von Schreck, im Gegenteil, es glitt ein leises, glückliches Lächeln über ihr schönes Angesicht.
Dachte sie etwa, daß sie nur träume? Jedenfalls.
„Gnädiges Fräulein. Bitte, wachen Sie auf.“
Da, erst jetzt zuckte sie zusammen. Ihre Lider öffneten sich – ein großer, erschrockener Blick der sich voll auf ihn richtete, aber kein Schrei, kein einziger Laut, dann zog sie die Decke bis über das Kinn herauf. Sie war vollständig erwacht und hatte ihn erkannt.
„Verzeihung, Baronesse“, flüsterte er ihr hastig zu. „Sie befinden sich in einer großen, fürchterlichen Gefahr, und ich mußte kommen, sie zu warnen.“
„Monsieur Müller!“ stieß sie hervor, aber nicht laut, sondern ebenso leise, wie er gesprochen hatte.
„Ja, ich bin es! Bitte, verzeihen Sie!“
„Gott! Ich begreife nicht! Gehen Sie!“
„Nein, nein! Ich muß bleiben! Es geht nicht anders! Man will sich an Ihnen vergreifen!“
Erst jetzt schien sie die Situation erfaßt zu haben.
„Bitte, das Licht weg!“ bat sie hastig.
Er schloß die Laterne und steckte sie in die Tasche.
„Stellen Sie einen Stuhl nahe zu mir; und sprechen Sie!“ gebot sie.
Er zog den Sessel ganz an das Bett heran, setzte sich
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