58 - Die Liebe des Ulanen 04 - Hinter feindlichen Linien
morgen wird es ja Gelegenheit geben, das Ding zu untersuchen.“ –
Müller war, als der Alte oben vorhin verschwunden war, ihm leise, ganz leise nachgestiegen. Er mußte sich sagen, daß er ein Wagnis unternehme.
„Wegen Marion“, dachte er. „Wegen ihr geht er zu Rallion. Da muß ich unbedingt hören, was es gibt.“
Er stieg also die Stufen empor; die Laterne hatte er in die Tasche gesteckt. Oben angekommen, erblickte er vor sich einen helleren Schein. Vorher aber fühlte er, daß die Stufen noch weiter in die Höhe führten.
„Da geht es nach der zweiten Etage“, dachte er. „Das gibt eine günstige Rückzugslinie, falls eine rasche Flucht nötig sein sollte. Werde mir das merken.“
Er schlich näher und erreichte die von dem Kapitän nicht wieder verschlossene Öffnung. Er horchte. Er hörte sprechen. Er erkannte Richemontes und Rallions Stimme. Soeben sagte der erstere:
„Vielleicht ist sie für Sie ungewöhnlich, für mich ist sie es aber nicht. Es handelt sich nämlich um Marion.“
Müller kauerte sich nieder, um das Ohr ganz an die Öffnung zu bringen, und verstand nun jedes Wort, welches die beiden Männer sprachen. Er erfuhr also den gegen Marion geplanten Anschlag. Er hätte hineinspringen mögen, um ihnen die Fäuste an die Köpfe zu schlagen, mußte aber seinen Abscheu niederkämpfen, um kein Wort zu überhören.
So hörte er auch den Anschlag, daß Rallion zu Marion eingeschlossen werden sollte. Das war für sein ehrliches Gewissen doch zu viel. Seine Hand, mit welcher er die Laterne in der Tasche hielt, zuckte unwillkürlich. Er kam der Blechhaube zu nahe und verbrannte sich. Augenblicklich entfuhr ihm jener nicht ganz zu unterdrückende Schmerzenslaut, welcher geradeso klingt, wie wenn man die Luft in den Mund zieht, indem man die oberen Zähne fest auf die untere Lippe drückt. Es klingt wie ein scharfes F.
Das war es, was die beiden drinnen gehört hatten. Müller vernahm die Worte:
„Ah! Hörten Sie etwas?“
„Hm. Es war wie ein Seufzer“, antwortete Rallion.
Jetzt war ein schleuniger Rückzug notwendig.
So eilig, wie es nur möglich war, ohne laut zu werden, suchte Müller die Treppe auf; aber anstatt dieselbe hinabzusteigen, floh er nach dem oberen Stockwerk empor – und das war sein Glück. Denn kaum hatte er sechs oder acht Stufen hinter sich, so kam der Alte und leuchtete erst hinab, ging aber dann auch hinunter, um unten umherzuleuchten. Das gab Müller Zeit, vollends emporzukommen und droben seine Laterne hervorzuziehen, um zu rekognoszieren.
Er sah, daß er nicht weiter konnte. Die Stufen hatten hier ein Ende.
„Gut“, dachte er, die Laterne wieder in die Tasche steckend. „Nun gilt es! Nun ist alles egal. Kommt der Kapitän auch nach hier oben, so sieht er mich, und dann werden wir miteinander zu rechnen haben.“
Er zog seinen Revolver hervor, bemerkte aber bald zu seiner Beruhigung, daß er die Waffe nicht brauchen werde, denn der Alte kehrte zurück und begab sich zu Rallion, ohne daran zu denken, seine Untersuchung nach oben fortzusetzen.
„Gott sei Dank“, dachte Müller, indem er einen Seufzer der Erleichterung ausstieß. „Ich will die Gefahr nicht geradezu bei den Hörnern packen. Ich habe genug gehört. Wolle nur Gott, daß mir noch Zeit bleibt, Marion zu warnen.“
Er schlich sich die beiden Treppen hinab bis in den Gang, welcher nach dem Gartenhäuschen führte. Dort blieb er stehen und zog die Laterne wieder hervor. Von dort aus führten ja die verschiedenen heimlichen Treppen nach allen Seiten des Gebäudes empor.
„Bei Marion gibt es also auch einen solchen Eingang“, flüsterte er. „Das ist aus den Worten des Alten zu entnehmen. Durch den Garten nach meiner Stube zurückzukehren und dann zu Marion zu gehen, um sie zu wecken und zu warnen, das wäre zu auffällig und zu zeitraubend. Bis dahin wären diese beiden Menschen längst bei ihr. Ich bin gezwungen, die geheime Tür zu benutzen. Aber wie sie finden?“
Er leuchtete umher und dachte nach.
„Hier diese vierte Treppe muß die richtige sein“, dachte er. „Sie führt nach der Richtung, in welcher Marions Wohnung liegt. Ich werde es versuchen.“
Mit Hilfe der Laterne gelang es ihm, rasch vorwärts zu kommen. Er hatte den weiteren Verlauf des Gesprächs nicht abwarten können und glaubte infolgedessen, daß Marion bereits heute, in dieser Nacht, heimlich eingesperrt werden solle.
Im ersten Stockwerk angekommen, bemerkte er ein ganz ebensolches Loch, wie dasjenige war,
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