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58 - Die Liebe des Ulanen 04 - Hinter feindlichen Linien

58 - Die Liebe des Ulanen 04 - Hinter feindlichen Linien

Titel: 58 - Die Liebe des Ulanen 04 - Hinter feindlichen Linien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Alte sprang bei ihrem Anblick vom Stuhl auf und starrte mit weitaufgerissenen Augen das Mädchen an.
    „Marion. Alle Teufel!“ entfuhr es ihm.
    Sie schritt in ruhiger Haltung nach ihrem gewöhnlichen Platz und fragte verwundert:
    „Was ist's. Ist mein Erscheinen heute etwas so Auffälliges?“
    „Ich denke – ah. Unbegreiflich.“
    „Was ist unbegreiflich?“
    Da nahm Müller das Wort, indem er sagte:
    „Der Herr Kapitän sagte uns soeben, daß Sie während der vergangenen Nacht ganz unerwartet zu einer plötzlichen Abreise gezwungen worden seien.“
    Da schüttelte Marion den Kopf und sagte im unbefangensten Ton:
    „Da hat sich der Herr Kapitän sehr geirrt. Ich wüßte nicht, was mich jetzt zu einer Reise veranlassen könnte.“
    Der Kapitän vermochte sich das Erscheinen Marions nicht zu erklären. Ihr Verhalten zeigte auch keineswegs etwas Feindseliges. Er beschloß also, einstweilen zu schweigen. Aber als er nach eingenommenem Frühstück für kurze Zeit am Fenster stand und Marion unter irgendeinem Vorwand sich ihm näherte, richtete er seine Augen stechenden Blicks auf ihr Gesicht und sagte:
    „Was ist das für ein Rätsel? Man sagte mir, daß du nach dem Bahnhof gebracht worden seiest.“
    „Von wem?“
    „Danach habe ich nicht gefragt. Auch erfuhr ich, daß du dich während der Nacht nicht in deinem Zimmer befunden habest.“
    „Wer sagte das?“
    „Deine Zofe.“
    „Sie hatte recht. Ich war allerdings nicht in meiner Wohnung.“
    Der Kapitän öffnete die Augen womöglich noch weiter und fragte:
    „Wo denn?“
    „Interessiert dich das so sehr?“
    „Natürlich. Man sagte mir, du seist verreist; du kommst trotzdem zum Frühstück; da muß ich allerdings sehr wißbegierig sein, wie das zusammenhängt.“
    „Das möchte ich selbst gern wissen. Ich bin nicht auf den Gedanken gekommen, zu verreisen.“
    „Aber wo befandest du dich?“
    „In Sicherheit, Herr Kapitän!“
    Diese Antwort war scheinbar ganz leichthin gegeben, aber es traf ihn dabei ein Blick, welcher ihm sagte, daß diese Worte eine tiefere Bedeutung hätten.
    „In Sicherheit?“ fragte er. „Ich begreife nicht, was du mit diesen Worten sagen willst. Ich denke, daß ein jeder hier in Ortry sich in Sicherheit befindet.“
    „Vielleicht sind andere nicht ganz derselben Meinung.“
    Sie wendete sich von ihm ab und verließ den Speisesaal. Darauf hatte die Baronin gewartet. Sie trat sofort zu dem Alten heran und fragte:
    „Können Sie mir das erklären?“
    „Nein“, antwortete er.
    Es war ihm anzusehen, daß er sich in außerordentlicher Verlegenheit befand.
    „Sie haben aber doch mit ihr gesprochen. Sie haben sich natürlich erkundigen müssen.“
    „Freilich, freilich tat ich das.“
    „Was antwortete sie?“
    „Sie wich mir aus.“
    Die Baronin räusperte sich und ließ ein Lächeln sehen, welches so ziemlich impertinent genannt werden konnte.
    „Verehrtester Herr Kapitän“, sagte sie, „ich beginne zu ahnen, daß Sie heute nacht einen Streich begangen haben, welcher keine große Bewunderung verdient.“
    „Danke für dieses Kompliment“, stieß er hervor.
    „Es war jedenfalls ein verdientes. Sie haben sich überhaupt gestern nicht sehr lobenswert benommen.“
    Er wußte, daß sie ihn haßte, aber in dieser Weise hatte sie noch nicht mit ihm zu sprechen gewagt. Die anderen Anwesenden hatten sich entfernt; er befand sich mit der Baronin jetzt allein, darum brauchte er nicht übermäßig leise zu sprechen. Er richtete sich möglichst stolz empor und sagte:
    „Welche Sprache erlauben Sie sich, gnädige Frau?“
    „Eine sehr deutliche.“
    „Das aber verbitte ich mir. Was wollen Sie mit diesem ‚nicht sehr lobenswert benommen‘ bezeichnen?“
    „Ihr gestriges Verhalten zu der Engländerin.“
    „Darf ich Sie bitten, deutlicher zu sein?“
    „Sie waren beim Anblick dieser Dame vollständig konsterniert.“
    „Nur überrascht.“
    „Oh, ich dachte, es wäre etwas mehr gewesen als eine bloße Überraschung. Sie waren nicht überrascht, erstaunt oder betreten, sondern förmlich erschrocken.“
    Er ließ ein überlegenes, spöttisches Lachen hören, musterte sie mit einem höhnischen Blick und antwortete:
    „Sie sprechen wie ein Gelehrter. Das hätte ich einer Schäfers- oder Hirtentochter keineswegs zugetraut.“
    „Wohl ebensowenig, wie ich Ihnen einen solchen Mangel an Selbstbeherrschung zugetraut hätte. Die Engländerin scheint eine Ähnlichkeit mit einer Ihnen sehr bekannten Persönlichkeit zu

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