58 - Die Liebe des Ulanen 04 - Hinter feindlichen Linien
Räuspern hören, wodurch Madelon aufmerksam gemacht wurde.
„Kennen Sie ihn?“ flüsterte die letztere unter ihrem dichten Schleier hervor.
„Oh, nur zu gut.“
„Wer ist er?“
„Herr Hieronymus Aurelius Schneffke.“
„Mein Gott.“
„Ich befürchte sehr, daß der Waggon zusammenbrechen wird, nur um dem Pechvogel Gelegenheit zu geben, mir parterre zum vierten Mal seine Huldigung zu erweisen.“
„Verlassen wir doch das Coupé.“
„Nicht doch. Versuchen wir es eine Weile. Er ist zu drollig. Vielleicht fährt er nicht sehr weit mit.“
Der Dicke hatte seine Mappe untergebracht und sich zurechtgesetzt. Da machte er plötzlich eine Bewegung des Schreckes.
„Sapperlot! Mein Regenschirm“, sagte er. „Der liegt an der Kasse. Das ist so sicher wie Pudding.“
Er fuhr von seinem Sitz auf, langte durch das offene Fenster, öffnete die Tür und drängte seinen umfangreichen Leib hinaus.
„Das Pech geht an!“ lachte Emma.
„Wir sind ihn los!“ meinte Madelon. „Es läutet zum dritten Mal. Er kommt nicht zur Zeit retour.“
„Himmel, Pinsel und Palette!“ rief es draußen. „Wer hält mich denn da hinten.“
Herr Hieronymus war mit einer inneren Seitentasche seines Rockes hängengeblieben. Ein kräftiger Ruck, und sein gewichtiger Leib war frei; er plumpste auf die Erde nieder. Aber der rechte Schoß seines neuen Rocks hing oben über ihm. Er raffte sich auf, ohne den Verlust zu bemerken, und wollte davonspringen, um den Schirm zu holen. Da aber faßte ihn ein schneller Schaffner beim Arm und fragte:
„Wohin denn noch!“
„An die Kasse. Ich habe meinen Schirm dort stehen lassen.“
„Dazu ist keine Zeit. Es hat zum dritten Mal geläutet.“
„Aber ich muß ihn haben.“
„So versäumen Sie den Zug!“
„Heiliges Pech. Das ist der reine Pudding. Und da hängt weiß Gott mein Rockschoß.“
„Also hinein oder nicht? Hören Sie? Die Maschine gibt bereits das Zeichen.“
„Na, denn in Gottes Namen wieder hinein.“
„Aber schnell, schnell.“
So schnell allerdings, wie es wünschenswert war, ging das bei dem dicken Maler nicht. Er drückte und quetschte sich vorwärts, und der Schaffner schob aus Leibeskräften. Der Zug kam bereits ins Rollen. Da endlich stand Hieronymus Aurelius wieder im Coupé, und die Türe ward hinter ihm zugeworfen.
Emma hatte, um diese amüsante Szene beobachten zu können, den Schleier aufgeschlagen. Der Maler erkannte sie jetzt. Über sein Gesicht zog ein breites, wonniges Lächeln:
„Habe die Ehre, Fräulein König! Freut mich ungemein. Ihr ergebenster Diener – Himmeldonnerwetter.“
Er hatte ihr eine tiefe Verbeugung machen wollen, wurde jedoch in höchst fataler Weise daran verhindert. Es hielt ihn abermals jemand an der hintern Front seines Körpers. Er versuchte, sich umzudrehen. Es gelang ihm nur sehr schwer, und da sah er denn zu seinem Entsetzen, daß der Schaffner ihm den zweiten Schoß seines neuen Rockes in der Eile zwischen die Tür geklemmt hatte.
„Na, nun hört mir aber alles auf!“ sagte er. „Die Reise fängt sich allerliebst an. Wo fahren die Damen hin?“
Die Gefragten mußten sich die größte Mühe geben, ein lautes Lachen zu unterdrücken. Emma antwortete, um ihm gleich von vornherein zu zeigen, daß die etwaige Hoffnung, bis zu Ende seiner jedenfalls kurzen Fahrt in ihrer Nähe zu verbleiben, eine vergebliche sei:
„Nach Frankreich, mein Herr.“
„Das ist prächtig. Ich auch, ich auch. Da bleiben wir natürlich zusammen.“
Zunächst blieb er nämlich auch stehen, um sich auf der nächsten Station aus seiner Gefangenschaft befreien zu lassen.
ZWEITES KAPITEL
Die Botschaft des Zauberers
Es war ein wunderschöner Morgen über der Gegend von Ortry aufgegangen. Die Sonne hatte den Tau von den Blättern und Halmen verschwinden lassen, nur hier und da glänzte noch ein silberner Tropfen aus dem tiefen Kelch einer Blume hervor.
Um diese Zeit pflegte Marion de Sainte-Marie dem Unterricht beizuwohnen, welchen Doktor Müller ihrem Bruder Alexander gab. War es die Schwesternliebe oder das Interesse an den Lehrgegenständen, was sie zu diesem Opfer veranlaßte? Sie wußte es sich vielleicht selbst nicht zu sagen.
Nanon aber benutzte diese Zeit meist zu einsamen Spaziergängen im Wald. Da war es freier, besser und schöner als im Zimmer bei den Büchern – da draußen gab es allerlei Kräuter und Gräser, und zuweilen kam einer, um dieselben abzupflücken und in seinen großen Sack zu stecken.
Ein Plätzchen gab
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