60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
ERSTES KAPITEL
Ein Doppelmord
Es war ein reizendes kleines Damenboudoir, in welchem das fröhliche Lallen eines Kindermundes eine Damenstimme beantwortete, deren zärtlich kosende Worte von einem wunderbar weichen und herzigen Wohlklang waren. Die drei Fenster des Zimmers eröffneten einen Ausblick auf den Wald, welcher ringsum das Schloß umgab mit seinen dichten Föhren, aus deren Dunkel hier und da eine bereits herbstlich gefärbte Eiche oder Buche hervorblickte.
An dem mittleren Fenster bildeten mehrere sorgsam gepflegte Efeustöcke eine allerliebste Laube, deren Ranken ein anmutiges, herziges Bild umrahmten. Dort saß nämlich eine junge Dame, in ihrem Schoß das kleine, liebliche Wesen, mit dem sie jenes rührende, wohlklingende Zwiegespräch hielt.
War sie die Mutter des Kinder? Die Zärtlichkeit, welche aus ihren schönen, blauen Augen strahlte und ihr reizendes Gesichtchen durchgeistigte, hätte leicht als bejahende Antwort gelten können; aber dieses Geschöpft hatte so mädchenhafte Züge und einen solchen Ausdruck von Kindlichkeit und Unberührtheit, daß sich dieses Ja sofort in das Gegenteil verwandeln mußte.
Von dem wunderbar schön und rein modellierten Kopf dieser Dame wallte ein Haar hernieder, dessen goldenes, sonniges Blond ganz dieselbe Bewunderung verdiente, wie der seltene Reichtum und die ungewöhnliche Länge desselben.
Zuweilen gelang es dem kleinen, lebhaft zappelnden Knaben, mit den noch ungeübten Fingerchen eine Strähne dieses Haares zu erfassen. Dann jauchzte er laut auf vor Glück und sie drückte ihn fröhlich lachend an sich und gab ihm die süßesten Kosenamen. Sie sprach zu ihm, als ob er sie verstehen könne, und wenn er zufällig einen Laut von sich gab, welcher von der regen, liebevollen Phantasie für eine Antwort genommen werden konnte, dann belohnte sie dieses eingebildete Verdienst mit ungezählten Küssen ihrer schönen, frischen Lippen, deren sattes, volles Rot kaum von der Farbenpracht einer im Aufbrechen begriffenen Granate erreicht werden konnte.
Da wurde die Portiere zurückgezogen, und die Zofe erschien.
„Gnädige Baronesse“, meldete sie, „Förster Brandt läßt anfragen, ob es ihm erlaubt ist, einzutreten.“
„Gewiß, gewiß!“ antwortete die Gefragte. „Er weiß ja, daß er mir zu jeder Zeit willkommen ist.“
„Und sodann ist ein Paket angekommen. Es trägt das Postzeichen der Residenz. Vielleicht enthält es die erwartete Seidenrobe. Gestatten Sie mir vielleicht, es hereinzubringen?“
„Ja; aber vorher will ich den Förster empfangen, liebe Ella. Hier, trage das Brüderchen ins Kinderzimmer! Der kleine Schelm würde doch nur stören, wenn ich nachher das Kleid anprobe.“
Sie erhob sich, trat aus der Fensterlaube hervor und reichte der Zofe den Knaben hin. In der Körperstellung kam ihre fast königlich zu nennende Gestalt zur vollen Geltung. Die Augen der Zofe blieben einen Augenblick lang an derselben haften und wendeten sich dann schnell und mit einem versteckten Aufblitzen hinweg. Es war, als ob sie sich bemühen müsse, eine neidische Regung zu verbergen. Sie ergriff das Kind und verließ das Zimmer.
Draußen stand der Förster, eine nicht zu hohe, aber kräftige und muskulöse Gestalt. Sein Gesicht war von den Unbilden des Wetters gegerbt und gebräunt und zeigte jene treuen ehrlichen Züge, welche Leuten seines Standes häufig eigen zu sein pflegen.
„Treten Sie ein“, sagte die Zofe, und zwar in einem Ton, der gar nicht annehmen ließ, daß dieser Mann ihre Sympathie besitze.
Der Förster zog die Brauen in die Höhe, ließ ein leises, schalkhaftes Lächeln sehen und antwortete:
„Jüngferchen, Jüngferchen! Sie verraten ganz das Zeug zum Kommandieren. Wer möchte da wohl gern Freier sein.“
Er trat bei der Baronesse ein, die Zofe aber tat, als habe sie seine Bemerkung gar nicht gehört und begab sich mit dem Knaben nach dem angegebenen Zimmer.
Sie hatte dasselbe noch nicht erreicht, als sich eine Tür öffnete und ein Herr aus derselben trat. Er war mittelhoch und schlank gebaut und mochte vielleicht achtundzwanzig Jahre zählen. Sein Gesicht konnte nicht unschön genannt werden, doch war für dasselbe auch nicht leicht eine große Sympathie zu empfinden. Es trug bereits die Spuren der Schnellebigkeit und leidenschaftlicher Erregungen. Als er die Zofe erblickte, blieb er, ihr in den Weg treten, stehend.
„Ah, wie prächtig Ihnen so ein Knabe steht“, sagte er halblaut, als ob er sich fürchte, anderweit gehört zu
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