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60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

Titel: 60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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an das Fenster. Aus den Augen, welche auf dem Brief ruhten, brach ein Blick des Glücks, so froh und hell wie ein warmer Sonnenstrahl.
    „Gustav, Gustav kommt!“ flüsterte sie. „Wie herrlich! Er ist der einzige, der mich versteht, er und seine guten Eltern! Papa ist so ernst und seit Mamas Tode so verschlossen, und die anderen – ah, fast scheint es mir, als ob es nicht gar viele Menschen gebe, die man lieben darf!“
    Sie öffnete den Brief und las ihn. Von Zeile zu Zeile erhöhte sich der glückliche Ausdruck ihres Gesichtes.
    „Ja, ja“, sagte sie dann zu sich. „Das stand zu erwarten. Er ist reich, sehr reich begabt und wird schnell Karriere machen. Er schreibt so bescheiden, aber man kennt ja seinen Wert!“
    War es schwesterliche Freude oder war es etwas noch anderes – sie gab sich darüber keine Rechenschaft, aber ganz unwillkürlich hob sich ihre Hand mit dem Brief, und ihre Lippen berührten die Stelle desselben, auf welcher sich die Unterschrift befand. Aber fast ganz in demselben Augenblick senkte sich die Hand blitzschnell wieder herab: Die Zofe war eingetreten, einen Karton in den Händen tragend. Sie hatte den Kuß gesehen, tat jedoch so, als ob sie nichts bemerkt habe.
    „Hier ist das Paket, gnädiges Fräulein“, sagte sie. „Darf ich öffnen?“
    „Ja, tu es“, antwortete die Baronesse.
    Sie hatte sich, dem König zu Ehren, welcher morgen zur Jagd erwartet wurde, aus der Residenz eine prachtvolle Robe verschrieben, welche jetzt dem Karton entnommen wurde. Die Blicke der Zofe hingen bewundernd an dem schweren Seidenstoff und dem reichen Ausputz des Kleides, und als sie das letztere nun der Herrin zur Probe anlegen mußte, fand sie, daß sie ihrer ganzen Selbstbeherrschung bedurfte, um nicht den Neid bemerken zu lassen, der jetzt ihre Seele erfüllte. Dann, als die letzte Hand angelegt war, rief sie im Ton aufrichtiger Freude:
    „Wie herrlich! Wie köstlich! Das gnädige Fräulein können sich mit den Prinzessinnen aller königlichen und kaiserlichen Höfe messen. Dieses Kleid sitzt zum Entzücken schön. Seine Majestät werden die gnädige Baronesse Alma von Helfenstein reizend und bewundernswert finden!“
    „Doch leider dich nicht auch!“
    Diese Worte erklangen von der Portiere her. Dort stand der Baron Otto von Helfenstein, welcher, von beiden unbemerkt, eingetreten und die Worte der Zofe vernommen hatte. Seine Antwort hatte einen unfreundlichen, beinahe harten Klang. Er gab der Zofe einen Wink, sich zu entfernen und trat dann, als sie gehorcht hatte, näher. Jetzt erst wurde sein ernstes Gesicht freundlicher.
    „Es ist wahr, liebe Alma“, sagte er; „diese Robe kleidet dich ausgezeichnet. Aber diese Ella lobt zu überschwenglich. Sie hat mir nie gefallen. Sie hat so ein aalglattes, übergeschmeidiges Wesen, und ich kann mich für solche Charaktere nicht erwärmen. Ich glaube, sie ist falsch und heuchelt. Doch nicht, um dir dies zu sagen, komme ich zu dir, sondern aus einem anderen Grunde.“
    Es geschah selten, außerordentlich selten, daß der Baron einmal die Gemächer seiner Tochter betrat. Geschah es ja einmal, so gab es ganz gewiß etwas sehr Wichtiges zu verhandeln. Daß dies jetzt auch der Fall sei, war ihm anzusehen.
    Er schritt nach einem Fauteuil, nahm bedächtig darauf Platz und musterte dann die Gestalt Almas, welche in Erwartung des kommenden leicht an dem Damenschreibtisch lehnend stand.
    „Ich muß wirklich sagen, daß deine Figur eine tadellose ist“, meinte er, ihr zufrieden zunickend. „Man könnte vielleicht sagen, daß du eine Schönheit bist. Du brauchst da nicht zu erröten. Es ist ein Unterschied, ob ein Vater oder ein schmachtender Seladon diese Worte sagt. Ein Mädchen soll sich schmücken, soll aber auch wissen, für wen es sich schmückt. Hast du dir diese Frage vielleicht schon aufrichtig vorgelegt?“
    Trotz der soeben gehörten Ermahnung des Vaters trat eine erneute Glut auf die Wangen des reizenden Mädchens. Was wollte, was beabsichtigte er? Wozu und warum diese eigentümliche Frage?
    „Nun, magst du mir nicht antworten?“ fuhr er fort.
    „Aber Papa, ich verstehe dich nicht“, sagte sie, indem sie sich bestrebte, ihr inneres Gleichgewicht zu behalten.
    „Täusche dich nicht selbst. Ich bin überzeugt, daß du mich verstehst!“
    „Nun, verstehe ich dich recht, so meinst du, ob es eine bestimmte Person gibt, für welche ich mich schmücken möchte?“
    „Ja, das meine ich allerdings.“
    „Es gibt keine solche.“
    „Das ist mir in

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