65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell
Stühlen.
„Durchlaucht!“ meinte der Rat. „Eine freudige Überraschung. Herzlich willkommen!“
Der Fürst begrüßte zunächst die Rätin, dann ihn und sodann die anderen Anwesenden. Unter diesen letzteren befand sich auch der Oberst von Hellenbach mit Frau und Tochter. Auch Assessor von Schubert war anwesend. Er hatte sich auf die Initiative des Fürsten hin in letzter Zeit so ausgezeichnet, daß er jetzt in so hohen Beamtenkreisen heimisch geworden war.
„Ich störe“, meinte der Fürst, „bin aber doch gekommen, weil ich weiß, daß Sie mit meinen Schützlingen zu sprechen wünschen, Herr Oberlandesgerichtsrat.“
„Darf ich um die Namen bitten, Durchlaucht?“
„Kohlenbrenner Hendschel mit Frau Gemahlin.“
„Ah, das ist auch eine Überraschung. Liebe Frau!“
Eine kurze Handbewegung sagte der Dame, was er wolle. Sie winkte dem Diener, und im Nu waren noch drei Stühle an die Tafel gerückt. Der Fürst nahm sofort ungeniert Platz; der Rat ging auf die beiden Alten zu und sagte:
„Sie haben doch die Güte, mit zu dinieren?“
„Das ist das, was Mittagessen heißt?“ fragte sie.
„Ja.“
„Danke schön! Es ist so gut, als wär's geschehen!“
„O nein! Sie müssen sich mit heransetzen.“
„Aber ich habe wirklich noch keinen Appetit. Du Alter?“
„Hm! Wie du denkst!“
Er schnüffelte mit der Nase. Er mochte doch Appetit haben.
„Setzen Sie sich nur“, meinte der Rat.
Und der Diener faßte die Alte resolut am Arm und zog sie an den Tisch.
„Halt!“ sagte sie. „Ich muß doch erst den Korb wohin stellen!“
„Bitte, geben Sie. Ich plaziere ihn ins Vorzimmer.“
„Nein! Da könnte man mir hineingucken. Setzen Sie ihn lieber dorthin auf das Kanapee. Wenn's auch von Seide ist, es wird doch nicht dreckig, denn ich habe erst vorgestern den Korb gewaschen. Tun Sie auch meinem Manne seinen Hut und Regenschirm mit hin. Besser ist besser. Aber nehmen Sie sich mit dem Schirm ein bißchen in acht. Der Griff ist nicht ganz mehr so fest!“
Der Diener gehorchte, innerlich fast platzend. Sie aber nahm gravitätisch auf dem Stuhl Platz und wendete sich an die Rätin mit den freundlichen Worten:
„Aber, Madame, nötig war's gerade nicht. Wir hätten auch warten können. Wir haben Zeit.“
Der Diener servierte ihr die Platte. Sie stach sich etwas herunter und meinte dann zu ihrem Mann, der ihr gegenüber saß und zu dem der Diener jetzt ging:
„Du brauchst dir das größte Stück nicht zu nehmen. Und laß fein ein bißchen übrig. Das ist nobel!“
Ein augenblickliches Rücken der Stühle war der Beweis, daß sich die Anwesenden höchst belustigt fühlten, und aller Augen richteten sich mit dankbarem Blick nach dem Fürsten, der ihnen diesen seltenen Genuß bereitete.
Frau Hendschel zerschnitt das Stück, kostete und kostete, schüttelte den Kopf und meinte dann zu Fanny von Hellenbach, welche ihr zur rechten Hand saß:
„Hm! Daraus werde ich nicht klug. Sie etwa?“
„Es ist Straßburger Gänseleberpastete.“
„Straßburger?“
„Ja.“
„Haben denn dort die Gänse Pasteten in den Lebern?“
Ein allgemeines Hüsteln; dann antwortete Fanny:
„So ist es nicht gemeint. Was Sie hier haben, das ist die Pastete. Sie ist in Straßburg aus Gänseleber zubereitet worden.“
„Ach so! Danke schön! Sie schmeckt pikant. Nicht?“
„Gewiß.“
„Ein bißchen zu pikant, so, was man bei uns droben im Gebirge muffig nennt. Nicht?“
„Hm, ja.“
„Die Leber muß ziemlich anrüchig gewesen sein. Aber das Gewürz verdeckt es wieder. Man glaubt gar nicht, was ein Lorbeerblatt tut. Wenn das Fleisch stinkig geworden ist, dann nur ein paar Lorbeerblätter mehr in die Brühe. Man schmeckt und riecht es viel weniger.“
„Na“, meinte der Alte, „so viel Fleisch, wie du in den Topf kriegst, da wird es nicht muffig.“
„Geh, Alter! Tu nur nicht gar so arm! Wir haben zu Weihnachten ein halbes Pfund Schweinefleisch gehabt und jetzt am ersten Osterfeiertag gar dreiviertel Pfund Kälbernes. Die Leute müssen doch denken, daß bei uns die Armut zu Hause ist!“
Der Diener goß ihr ein Glas Wein ein, und der Fürst hielt ihr das seinige hin.
„Prosit, Mama Hendschel!“
„Gott segne es, Herr Durchlaucht!“
Sie nippte.
„Na, das kenne ich auch nicht“, meinte sie. „Wacholder ist es nicht, Kümmel auch nicht, Anis vollends gar nicht.“
„Alte, wo denkst du denn hin!“ rief er über den Tisch herüber. „Das ist doch Wein!“
„Wein!“ meinte sie fast
Weitere Kostenlose Bücher