69 - Der Weg zum Glück 04 - Die Rivalen
kletterte auf dem Weg, auf welchem er heraufgekommen war, wieder hinab und stieg über den Zaun. Draußen blieb er stehen, holte tief Atem und seufzte erleichtert:
„Gott sei Dank! Jetzt ist's gelungen! Nun mag er die Wechseln präsentieren und die anderen Papiere dem Gericht zeigen. Die beiden heutigen sind auch schon mit dabei, denn ich hab gesehen, daß er sie mit dazugelegt hat. Nun ist der Kery gerettet und kann nicht gezwungen werden, ihm die Gisela zu geben. Ich bin der Retter, und wann der Kery ein Gewissen im Leib hat, muß er mir nun wieder freundlich gesinnt werden.“
Er begab sich nun auf den Rückweg, war aber kaum einige Schritte gegangen, so blieb er stehen.
„Hm! Der Briefen, den der Sohn nach dem Anhaltepunkt schafft, wann ich denselbigen haben könnt, so wär es sehr gut für mich.“
Er sann einen Augenblick nach, dann wendete er sich um und eilte in einer andern Richtung weiter.
Der Weg, welchen er jetzt eingeschlagen hatte, führte nach einem nahen Dorf, welches von der Bahn berührt wurde. Dort gab es einen kleinen Bahnhof oder vielmehr Anhaltepunkt, an welchem die Züge nur nach Bedürfnis hielten. Und dort befand sich der Briefkasten, in welchen der junge Osec den betreffenden Brief stecken wollte.
Als Ludwig ungefähr fünf Minuten gelaufen war, hörte er Schritte, welche ihm entgegen kamen. Er trat zur Seite und duckte sich nieder. Der Begegnende ging an ihm vorüber, ohne ihn zu bemerken.
„Das war der Osec. Er kommt schon zurück. Nun kann ich weiter.“
Er stand auf und setzte seinen Weg fort. Bald erreichte er das Dorf und auch das Stationsgebäude. Aber als er nun vor dem letzteren stand, kam ihm der Gedanke, an welchen er bereits längst hätte denken sollen:
„Sapperlotern! Ich will den Brief haben; aber wie kann ich ihn bekommen? Er ist doch nun in dem Kasten! Vielleicht hat der Osec ihn nicht ganz hineingesteckt, so daß ich ihn noch derwischen und wieder heraufziehen kann.“
Er wußte, daß der Briefkasten sich um die Ecke befand. Eben als er um dieselbe treten wollte, stand eine andere Person im Begriff, ihm entgegen um sie zu biegen. Die beiden prallten zusammen.
Es gab hier kein Steinpflaster. Darum waren die Schritte nicht zu hören gewesen, und übrigens war Ludwig so leise wie möglich aufgetreten.
„Himmeldonnerwetter!“ rief der andere. „Nimm dich doch in acht! Siehst du mich denn nicht?“
„Nein, ich hab dich nicht hört und auch nicht sehen.“
„So paß auf!“
„Ebenso kannst auch du aufpassen!“
„So! Ich! Freilich ist das Aufpassen mein Amt. Und vielleicht ist es gut, daß ich heut aufgepaßt habe. Es geht heut nacht hier ja recht rege zu. Vor kaum einer Viertelstunde hörte ich einen hier; aber als ich kam, war er schon fort. Und nun treffe ich schon wieder auf einen. Das ist ja ein außerordentlich lebhafter Verkehr. Wer bist du denn eigentlich?“
„Sag mir doch zuvor, wer du selbst bist, und obst ein Recht hast, hier herumzuschleichen und die Leutln auszufragen.“
„Dieses Recht hab ich gar wohl. Es ist sogar meine Pflicht, denn ich bin die Bahnpolizei!“
„Sappermenten! Da bist freilich ein gar großer Kerlen, und da werd ich sogleich einen gewaltigen Respekten vor dir haben.“
„Das kann ich auch verlangen!“
„So! Bist wohl ein Mann von großer Bedeutung?“
„Ja. Mir ist der ganze Bahnhof anvertraut. Ich bin der Bahnhofswächter.“
„So! Hab mir's doch gleich denkt, daßt nicht der Herr Direktor bist.“
„Wieso denn?“
„Weilst mich gleich du nannt hast. Ein anderer hätte doch wenigstens Sie gesagt.“
„Ach so! Soll ich dich etwa Herr Baron oder Herr Professor nennen? Tu nur nicht groß! Von so einem Bayerländer lasse ich mir nichts befehlen.“
„Woher weißt, daß ich aus Bayern bin?“
„Deine Sprach sagt es deutlich genug.“
„Da magst recht haben. Ein Bayer ist gar leicht zu erkennen. Aber daßt der Bahnhofwächtern bist, das glaub ich halt nicht.“
„So! Warum willst du es nicht glauben?“
„Weil es keinen gibt. Ich bin hier auch bekannt und weiß genau, daß hier kein Wächtern anstellt ist.“
„Da irrst dich sehr. Ich bin bereits seit vierzehn Tagen hier im Amt. Es sind einige Male des Nachts Ungehörigkeiten vorgekommen, verübt von losen Buben, und da hat man eben einen Wächter angestellt.“
„Und der bist du?“
„Ja. Du glaubst es wohl nicht?“
„Ich muß es halt glauben.“
„Nun siehst du also ein, daß ich ein Recht besitze, dich zu fragen. Übrigens muß
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