71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil
seiner Stelle gewesen bin. Ich befinde mich in einer geradezu unbegreiflichen Stimmung. Nicht sie, sondern ihre Seele muß so fromm und so rein sein, wie die Klänge dieses Liedes waren. Sie erscheint mir wie ein Engel, dessen lichte, fleckenlose Gewandung niemals mit dem Schmutz des Irdischen in Berührung gekommen ist oder kommen kann.“
„Da haben Sie freilich recht!“ stimmte der Sepp mit einem frohen Seufzer bei. „Wenn sie auch kein Engel ist, so darf ich doch sagen, daß ich noch niemals ein Mädchen gefunden habe, welches meiner braven Leni gleicht!“
„Leni, also Leni ist ihr Taufname“, flüsterte der Graf, indem sein Auge wonnig erglänzte. „Glücklich derjenige, welcher das Recht besitzt, sie mit diesem Wort zu nennen!“
Da ging hinter ihnen die Tür auf, und der Lakai, welcher die Musici zu bedienen hatte, trat ein. Er ging zu dem Kommerzienrat und meldete ihm, daß der Sänger Criquolini mit ihm sprechen wolle.
„Der? Was hätte er mit mitzuteilen?“ fragte der Hausherr.
„Er hat gegen mich nichts geäußert. Er schien über irgend etwas erzürnt zu sein.“
„Hast vielleicht du es an Aufmerksamkeit gegen ihn fehlen lassen?“
„O nein. Die Herren haben alles, was ihr Herz begehrt, und ich habe alle ihre Wünsche erfüllt.“
„Hm! Will sehen!“
Er begab sich nach dem Musikantenzimmer. Der Sepp ahnte, was sich dort ereignen werde. Er ging zur Leni und suchte sich mit ihr so zu plazieren, daß der Kricken-Anton, wenn er ja durch die Tür hineinschauen sollte, die beiden nicht erblicken konnte.
Als der Kommerzienrat eintrat, schritt der Sänger zornig im Zimmer auf und ab. Die Augen der anderen waren gespannt auf ihn gerichtet.
„Sie haben mich zu sprechen gewünscht?“ fragte der Kommerzienrat.
Anton wendete sich mit einem raschen Ruck ihm zu, fixierte ihn mit einem beinahe verächtlichen Blick und antwortete:
„Ja, Herr Baron. Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie wissen, was Kunst ist!“
„Ich glaube allerdings, das zu wissen“, antwortete der Kommerzienrat, erstaunt über diese Frage.
„Und welche großartige Bedeutung die Kunst für das Menschengeschlecht und dessen Entwicklung hat?“
„Auch das weiß ich.“
„Nun, so werden Sie auch wissen, welches Quantum von Ehre man dem Künstler zu erweisen hat!“
„Ich hoffe es.“
„Schön, Herr Baron. Halten Sie uns, die wir hier vor Ihnen stehen, für Künstler oder für Stümper und Dilettanten?“
„Welche Frage, Signor!“
„Bitte, antworten Sie! Und berücksichtigen Sie bei Ihrer Antwort ganz besonders mich!“
„Ich weiß zwar nicht, weshalb Sie meine Meinung von mir fordern, aber ich will Ihnen mitteilen, daß ich Sie allerdings für einen Künstler halte.“
„Warum behandeln Sie mich nicht als solchen?“
„Hätte ich das unterlassen? Es ist mir nichts bewußt davon.“
„So! Ich bin stets der Überzeugung gewesen, daß die Kunst ihren Jünger adelt und daß der letztere berechtigt ist, als Kavalier betrachtet zu werden!“
„Gewiß!“
„Nun, warum pferchen Sie uns hier ein wie in einen Stall? Warum bedenken Sie uns nicht ebenso mit einer Einladung wie die Signora Ubertinka, welche doch nichts anderes ist, als wir sind?“
„Einpferchen? Mein Herr, Sie bedienen sich da ganz eigentümlicher Ausdrücke!“
„Ich bin sehr berechtigt dazu, denn wir sind sogar, während keiner von uns sich zu produzieren hatte, hier eingeschlossen worden.“
„Unmöglich! Davon weiß ich nichts.“
„So ist das ohne Ihren Befehl geschehen, ändert aber nichts an der Sache selbst. Wir haben die Sängerin sehen wollen, aber während ihres zweimaligen Auftretens diese Tür von innen verschlossen gefunden.“
„Das muß ein Irrtum sein!“
„Es ist keiner. Diese Herren können es mir bezeugen. Sollte es wirklich wahr sein, daß Sie nichts davon wissen, was ich allerdings noch bezweifeln möchte, so –“
Er sprach in erhobenem Ton, ganz so, als ob er der Vorgesetzte des Barons sei. Dieser hatte ihm bisher ruhig und höflich geantwortet, jetzt aber brauste er auf, ihn unterbrechend:
„Halt! Wollen Sie erklären, daß ich ein Lügner sei? Das verbitte ich mir!“
„Pah! Sie sind verantwortlich für die Angelegenheiten, welche in ihrem Haus geschehen, mögen Sie nun etwas davon wissen oder nicht!“
„Herr, Sie werden frech! Mag die Tür verschlossen worden sein von diesem oder jenem, mir ist das gleich. Sie haben sich darüber nicht zu beschweren. Daß Sie die Sängerin sehen wollen, geht mich
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